Die graue Mauritius: Die Geschichte einer wirklich seltenen Uhr, großen Namen und überraschend kleinen Preisen - die IWC Ingenieur 3303

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Uhrenfreunde,


    ich habe keine Ahnung von Briefmarken - vermutlich teile ich das Schicksal mit vielen hier, gerade den Jüngeren. Trotzdem ist mir die "Blaue Mauritius" ein Begriff. Das ist wohl die bekannteste Briefmarke der Welt - sehr selten, sehr teuer.


    in der klassischen ökonomischen Theorie ist (sehr vereinfacht, man möge es verzeihen) die Knappheit eines Gutes ein wesentlicher Treiber seines Preises. Etwas, das jederzeit und überall ohne Probleme verfügbar ist, hat einen geringeren Preis, als ein rares Gut, das man nur unter großen Schwierigkeiten und gegen große Konkurrenz erwerben kann.


    Und genauso scheint es auch bei Uhren zu sein: Die leicht verfügbaren Modelle werden mit Abschlägen gestraft, die heiligen Raritäten aus Stahl dagegen in Gold und Kreditkarten aufgewogen. Wartelisten oder sogar nicht-mehr Wartelisten übersetzen sich in horrende Marktpreise.


    Jetzt kann man sich natürlich fragen: Sind denn diese Uhren wirklich so selten? Gibt man bei Chrono24 "Rolex 116500" ein erhält man ca. 620 Treffer. Gibt man "Patek 5711" ein, sind es ca. 440 Treffer. Alle mehr oder weniger sofort verfügbar, überall auf der Welt. Irgendwie nicht so wenig, denkt man sich erstaunt. Zudem noch in aktueller Produktion, d.h. es werden täglich mehr.


    Das ist bei Vintage natürlich anders, sieht man von Fakes und Basteleien ab, ist hier die Zahl begrenzt. Gleiche Übung: "Patek 3700" - rund 70 Angebote. "Rolex 6263" - ca. 120 Stück. "AP 5402" - ca. 30 Stück, schon ein bisschen weniger. Wobei bereits auffällt, dass die seltenste Referenz (die Ur-RO) die günstigste von den dreien ist. Und das obwohl doch Aspekte wie "großer Name", "Ikone", "hoher Wiedererkennungswert" etc. für alle gleichermaßen gelten sollten.


    Gibt man bei Chrono24 "IWC 1832" ein erhält man aktuell 8 Angebote, davon 6 in Stahl. Gibt man "IWC 3003" ein, erhält man 2 Angebote - beide bi-color. Gibt man "IWC 3303" ein, erhält man auch 2 Angebote (einmal Stahl, einmal eine Stahl-Gold-Brilli-Kreation). Man kann guten Gewissens sagen: Diese Uhren sind selten. Im Vergleich zu ihren Zeitgenossen sogar extrem selten.


    Von der blauen Mauritius wurden (wenn ich Wikipedia richtig verstanden habe ;)) 500 Stück gedruckt, wobei der Fachmann eher auf die erste Serie abzielt, das waren nur 350 Stück. Erkennbar ist die echte wahre Mauritius am Schriftzug "Post Office" - gerade bei Briefmarken kommt es auf Details an...


    Von der IWC Ingenieur SL "Jumbo" 1832 wurden 543 Stück gebaut, wobei für den Fachmann nur die Stahlversionen wirklich zählen - die genaue Zahl ist nicht bekannt, aber es werden auch so um die 350 Stück gewesen sein. Also ungefähr vergleichbar mit einer blauen Mauritius.


    Es gab übrigens auch eine rote Mauritius - gleiche Auflage (350 plus 150 Stück), die ist ähnlich viel wert und ein Kombination von beiden auf einem Brief ist das "Paul Newman seine Paul Newman"-Äquivalent der Briefmarkenwelt.


    Auch von der IWC Ingenieur SL gab es eine weitere Variante neben der mechanischen Version, nämlich die Quarz-Version (genauer: die Quarz-Versionen). Die Ref. 3003 entspricht dabei in ihren Maßen exakt der 1832, entsprechend kann man sogar die Werke tauschen (was fleißg in beide Richtungen gemacht wurde). Ursprünglich gab es von dieser Uhr sogar nur 335 Stück (wiederum Stahl und Mixte gemeinsam), also vielleicht 200 Exemplare in Stahl.


    Bei der Mauritius wurde später nochmal nachgedruckt (die Platten sind noch erhalten), farbverkehrt um sie zu unterscheiden, die sind aber sogar noch seltener.


    Auch bei der Ingenieur SL gab es nochmal eine Neuauflage, nämlich die Ref. 3303, die nur als Quarz-Version auf den Markt kam und entsprechend deutlich flacher war, auch war die Lünette breiter und das Band dünner. Von dieser Uhr wurden als Mixte 160 und in Stahl genau 149 Uhren gebaut. Diese verteilten sich auf 4 Zifferblattversionen, wobei die schwarze Variante am häufigsten ist und die anderen vielleicht 20-30 Exemplare pro Variante umfassen. Das ist selten.


    Offenbar reicht es aber nicht, dass etwas selten ist.


    Wenn es um Finanzanlagen geht, gibt es ein weiteres Kriterium, das besonders wichtig ist: Die Handelbarkeit, d.h. wie liquide ist der Markt für ein Gut? Das erfordert eine gewisse Mindestgröße, damit die Preisbildung vernünftig stattfinden kann und überhaupt Angebote bestehen. Und es braucht natürlich auch eine gewisee Größenordnung in der Nachfrage. Wenn wir uns die Daytona anschauen, ist das offenbar alles gegeben - hoch-liquider Markt, hohe absolute Nachfrage und eine deutliche Knappheit. Diese Uhr kann man problemlos taggleich kaufen und verkaufen in jeder größeren Metropole dieser Welt.


    Von der 3700 wurden (geschätzt) ca. 4800 Stück in Stahl gebaut. Rechnet man den Mixte und Gold-Klöterkram mit, sind es ca. 7300 Stück von 1976 bis 1990 - also ungefähr das 10fache der 1832/3003, die von 1976 bis 1985 verkauft wurden. Interessanterweise findet sich dieser Faktor 10 ungefähr auch bei der Zahl der aktuellen Angebote (s.o.). Und das hat natürlich eine Auswirkung auf die Handelbarkeit dieser Uhren.


    Von den Mauritius-Marken sind übrigens heute noch 27 Exemplare bekannt, 12 blaue und 15 rote. Davon steht alle 5-10 Jahre mal eine zum Verkauf. Warum? Wer so eine Marke hat, verkauft sie nicht. Nur in Erb-, Bankrott- oder gar Kriegsfällen kommen diese Exemplare auf den Markt.


    Etwas abgeschwächt scheint das auch für eine 1832 oder eine 3700 zu gelten - auf dem Markt findet sich nur ein minimaler Bruchteil (weniger als 1%) der Gesamtproduktion.


    Und wie ist das bei einer 5711? Unterstellen wir im Vergleich zur 3700 maßvoll gesteigerte Produktionszahlen, dann müsste es ungefähr 5000 Exemplare der 5711 geben. Davon sind also aktuell deutlich mehr als 5%, vielleicht sogar fast 10% auf dem Markt. Das ist offenbar also eine Uhr, die zumindest aktuell mehr gehandelt, als dass sie gesammelt wird - was sich übrigens auch mit meinem stichprobenartigen Scan der Diskussionen in den üblichen Foren deckt.


    Warum nun der ganze Text?


    Ich hatte vor einiger Zeit nach sehr langer Suche (7 Jahre, um genau zu sein) die Gelegenheit, meine mechanische 1832 (die ich hier Was soll man viele Worte machen... und hier 35 Jahre "Jumbo" - ein Vergleich der IWC Ingenieur 1832 und 3227-01 vorgestellt hatte) und die Quarz 3003 (die ich hier Ein besonderer Neuzugang: IWC Ingenieur SL 3003 - Quarz vorgestellt hatte) um das fehlende dritte Familienmitglied zu ergänzen - eine IWC Ingenieur SL 3303, sogar mit dem extrem seltenen rhodinierten Blatt :jump:.


    Bei der Gelegenheit hatte ich mal wieder die bekannten Online-Dokumentationen zur Ingenieur durchgearbeitet (deutsche Version: http://www.moeb.ch/Ingenieur/03d_Jumbo.html / erweiterte englische Version: http://www.moeb.ch/Ingenieur/03e_Jumbo.html ) und da wurde mir ins Gedächtnis gerufen, wie selten diese Ingenieure eigentlich sind - und wie wenig die reine Seltenheit mit der Preisbildung zu tun hat.


    Alle drei Uhren zusammen haben ungefähr so viel gekostet, wie man aktuell für eine originale Korkbox bezahlt, in der die PP 3700 ursprünglich ausgeliefert wurden. Erstaunlich, oder? So eine Box ist bestimmt toll anzusehen und riecht vermutlich ganz großartig. Ich habe mich dann doch lieber für die Ingenieure entschieden :G


    Aber genug Geschwafel, es wird endlich Zeit für Bilder ;)







    Die Uhr ist deutlich flacher als die 3003/1832, die mit 12,5mm für damalige Verhältnisse relativ hoch war - die 3303 misst dagegen nur 8,7mm, da die Uhr nur für das flache Quarz-Werk Kal. 2250 konzipiert war



    Die Lünette ist wesentlich flacher als bei der 1832/3003 und auch der "Bauch" auf der Rückseite ragt nicht so weit hinaus, was die Tragbarkeit deutlich verbessert.



    Das Band ist ebenfalls wesentlich schmaler gebaut als bei der Ur-Jumbo, trotzdem ist Stretch auch bei diesem Modell absolut kein Thema...



    Wie man sieht, hat die Uhr schon die eine oder andere Tragespur eingesammelt, aber das gehört bei Vintage-Uhren natürlich zum Charakter. Und bei so einer seltenen Referenz kann man dann auch nicht allzu wählerisch sein ;):lupe:...


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    @ Robert: Tja, da streiten sich die Geister - es ist halt der Konstruktion geschuldet, bei der die Lünette wirklich verschraubt und nicht (wie bei den späteren Modellen) verpresst ist. So sieht jede Genta-Ingenieur ein wenig anders aus... :lupe: . Man kann allerdings bei den meisten Exemplaren eine symmetrische Anordnung der Bohrungen hinbekommen, indem man das Gewinde der Lünette entsprechend zuschneidet - das braucht allerdings Feingefühl und ein sehr gutes Augenmaß :opa:


    Hier nochmal ein paar mehr Bilder am Arm - da sieht man, wie flach die 3303 wirklich am Handgelenk sitzt:












    Zum Vergleich die 1832 am Arm:





    Man erkennt die deutlich höhere Bauweise - zudem setzt das Band der 1832 recht hoch an und ist relativ steifig im Anstoß. Dadurch ergeben sich schnell Lücken zwischen Arm und Uhr. Bei mir passt das ohne Probleme, aber bei schlankeren Handgelenken sieht das meist nicht besonders gut aus, da neigt die Uhr auch zum Kippeln. Die 3303 sitzt dagegen extrem satt am Handgelenk, obwohl auch hier der Bandanstoß ganz oben am Gehäuse ist.


    Gruß,

    Christian

  • Klasse Vorstellung wieder mal Christian,


    einer sehr seltenen Ing. die das Vorbild für die Nachfolger ist.

    Und eine Metapher zu Briefmarken habe ich beim Thema Uhren auch nie zuvor beobachtet.


    Das silberne ZB ist super selten, nie zuvor gesichtet.


    Ich habe noch einen Bausatz. Zu einer Bicolor noch ein nagelneues Stahlband, eine Stahlkrone und eine Stahl-Lünette.


    Aktuell ist die Uhr noch wie das 1. Foto zeigt.

    Soll demnächst umgebaut werden, wie auf dem 2. Foto.


    Und ich habe sogar das Glas entspiegeln lassen.


    Mal schauen, wie viele 3303 hier noch auftauchen werden ?!


    Beste Grüße




    3303-bi-wrist.jpg


    3301-bico-wrist-1.jpg

  • Noch einige technische Ergänzungen =>


    Das Cal. 2250 war damals das Standard Quarzwerk und wurde u.a. auch für eine Variante der OCEAN BUND verwendet, denn ein sehr robustes Werk, dessen Service Intervalle weitaus länger sind, als die rein mechanischer Werke.


    Eine der wenigen Ings. deren Magnetfeldschutz nur bis 40.000 A/m spezifiziert ist, sonst überwiegend bis 80.000 A/m.

    Nun gut, viele neue Ings. haben gar keinen nennenswerten Magnetfeldschutz mehr ?!


    Diese elektromechanischen Quarzwerke kommen ab einer bestimmten magnetischen Feldstärke in die Sättigung und bleiben stehen, solange sie der kritischen externen magnetischen Feldstärke ausgesetzt sind. Sobald die kritische Feldstärke wieder unterschritten wird, arbeitet das Werk normal weiter.


    Der Zeitverlust während des Stillstandes ist natürlich vorhanden.


    Ach ja, die Farbe der Platine würde auch sehr gut zur Cousteau passen :lol:


  • Tolle Vorstellung einer interessanten Uhr. Ich habe aber immer noch im Hinterkopf, dass Quarzuhren grundsätzlich nur eine begrenzte Lebensdauer haben, also unabhängig von Serviceintervallen aufgrund korrodierender Platinen (oder el. Bauteile?). Diese müssten in einem solchen Fall getauscht werden, oder ist das so nicht richtig?

    Bei der 3003 kann ich für den Fall, dass entsprechende Platinen/Bauteile nicht mehr verfügbar wären, immer noch auf das mechanische Werk umbauen (auch heute noch) - aber was mache ich mit einer 3303, die obwohl noch nicht in Preislagen wie der mechanischen Pendants gehandelt, immer noch deutlich zu viel kosten, vor dem Risiko möglicherweise nicht mehr in Gang gesetzt werden zu können?

    Mike

  • Tolle Vorstellung einer interessanten Uhr. Ich habe aber immer noch im Hinterkopf, dass Quarzuhren grundsätzlich nur eine begrenzte Lebensdauer haben, also unabhängig von Serviceintervallen aufgrund korrodierender Platinen (oder el. Bauteile?). Diese müssten in einem solchen Fall getauscht werden, oder ist das so nicht richtig?

    Bei der 3003 kann ich für den Fall, dass entsprechende Platinen/Bauteile nicht mehr verfügbar wären, immer noch auf das mechanische Werk umbauen (auch heute noch) - aber was mache ich mit einer 3303, die obwohl noch nicht in Preislagen wie der mechanischen Pendants gehandelt, immer noch deutlich zu viel kosten, vor dem Risiko möglicherweise nicht mehr in Gang gesetzt werden zu können?

    Mike

    Grundsätzlich altern elektronische Bauteile (insbesondere Kondensatoren), Korrosion bei Quarzuhren wird überwiegend durch ausgelaufene Batterien oder Feuchtigkeit aufgrund gealterter Dichtungen oder falscher Lagerung verursacht.


    Wie lang die "begrenzte Lebensdauer" von Quarzuhren ohne die zuvor erwähnten Bedingungen tatsächlich ist, zeigt dieses Beispiel.


    Meine EDISON mit Stimmgabel Werk und noch sehr wenig Elektronik (siehe Schaltplan) aus den 70ern ist meine älteste elektromechanische Uhr und funktioniert immer noch einwandfrei.


    Cal. 2405 sind nicht viel jünger und funktionieren auch nach ca. 50 Jahren noch.


    Das IWC 2250 ist ein ETA/ESA Basiskaliber, das immer noch in sehr ähnlicher Bauform verfügbar ist. Und es gibt sehr viele gebrauchte IWC Modelle und Uhren anderer Hersteller mit diesen Werken


    quarz calibre 2250 with date display

    • diameter: 25.6 mm
    • height of movement: 2.5 mm


    Der Link zu einem aktuellen ETA mit identischer Bauform:


    https://www.eta.ch/de/unsere-p…e/eta-normflatline-955102


    Das IWC 2405 basiert auf ETA/ESA 940111 Basiskaliber, das auch von diversen Herstellern verwendet wurde. Er gibt also gebrauchte Uhren, deren Werke als Ersatzteilspender benutzt werden können.


    quarz calibre 2405 with date display

    • diameter: 28 mm
    • height of movement: 4.05 mm


  • Schließe mich gerne den vorhergehenden Kommentaren an: Tolle Vorstellung der Ref. 1832. Für mich so gelungen und informativ, dass ich mich hier gleich angemeldet habe.

    Eine Rückfrage habe ich aber doch: Bislang sehe ich von der IWC 1832 überwiegend Exemplare mit schwarzem Ziffernblatt. Ich weiß aber, dass es auch 1832er mit silberfarbenem (Edelstahl) Ziffernblatt und "weißem" Datum gibt - analog der abgebildeten 3303. Wurden beide Versionen in vergleichbaren Auflagen produziert oder gibt es auch hier Unterschiede?


    Gude

    Malte D.

    • Offizieller Beitrag

    Malte D. : Genaue Zahlen zur Verwendung der Zifferblätter gibt es nicht, da das in den Stammbüchern nicht verzeichnet ist. Vom Gefühl her würde ich denken, dass die überwiegende Mehrheit mit dem schwarzen ZB ausgeliefert wurde, auf Platz 2 die goldenen Zifferblätter und die grau-silbernen Blätter sind wohl tatsächlich am seltensten anzutreffen.


    Dabei muss man berücksichtigen, dass es auch Umbauten gibt - bei den älteren erkennt man die am schwarzen Datum (oft wurde die Scheibe nicht getauscht). Aber auch heute noch kann man meines Wissens z.B. beim Rückbau einer 1832 von Quarz auf Automatik die Zifferblatt-Farbe wählen.


    Gruß,

    Christian