Innovative Uhrenmarken haben es mir schon seit langem angetan. Manche der ganz großen Brands sind ja eher sparsam mit neuen Werken und In-House Komplikationen, weil die Entwicklung viel Geld kostet und sich mit dem Aufwärmen der alten Produkte als x-te Sonderedition der Gewinn besser maximieren lässt. Irgendwo spukt die - unbelegte - Aussage herum, dass die Entwicklung eines Manufakturwerks mindestens eine Million Euro kosten würde und dass sich das für kleinere Marken schlicht und einfach nicht rechnet. Auch die Großen müssen in Zeiten wie diesen eng kalkulieren und 2020 werden wir wohl nicht allzu viel Neues sehen... Lässt sich leider nicht ändern - oder etwa doch?
Was wäre, wenn wir alles anders machen würden? Wenn es nicht mehr darauf ankäme die Aktionäre mit wachsenden Renditen zufrieden zu stellen und die Quartalszahlen im Vergleichszeitraums des Vorjahres zu schlagen? Was wäre, wenn das Ziel einfach darin bestünde dem Kunden ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, weil er eine innovative Uhr höchster Qualität zu einem (sehr) fairen Preis bekommt. Ein Preis, der der Marke die Mittel gibt, solide durch eine Krise wie Corona zu steuern, weiterhin neue Modelle zu entwickeln und das eigene Manufakturwerk ständig zu verbessern. Ein Preis, der niedrig genug ist, um auch einem Normalverbraucher zu ermöglichen, sich eine exklusive Uhr zu kaufen, ohne gleich fünfstellig investieren zu müssen. Das geht natürlich nur, wenn die Eigentümer der Marke diese Philosophie auch konsequent leben, ein Smart als Firmenauto ausreicht und Nachhaltigkeit wichtiger ist als der nächste Jahresgewinn... Was wäre, wenn eine großartige Uhr im Mittelpunkt der Überlegungen stünde und der kommerzielle Erfolg eine die Konsequenz daraus wäre, dass ein Qualitätsprodukt immer gefragt sein wird?
Der spinnt, der Ankerstein. Wahrscheinlich hat er etwas geraucht... Selber sitzt er komfortabel in seiner Villa in Südfrankreich, fährt dicke Autos und anderen will er vorschreiben, dass sie Kundenzufriedenheit über den eigenen Profit zu stellen haben, damit er seine nächste Uhr zum „Sparefroh“ Budget bekommt? Sehr unglaubwürdig und auch ziemlich unverschämt!
Ja, aber was wäre, wenn er niemandem etwas vorschreiben müsste? Wenn es Unternehmer gäbe, die Uhren aus Leidenschaft bauen, dabei Spaß haben und nachhaltig produzieren wollen, weil das Teil Ihrer Lebensphilosophie ist?
Seit Jahren interessiere ich mich für Habring² eine unabhängige Uhrenmarke, die diese Philosophie verkörpert wie wohl niemand sonst. Richard Habring sammelte nach seiner Ausbildung auf der österreichischen Uhrmacherschule Erfahrungen bei der Reparatur von mechanischen Stoppuhren in den Wintersportgebieten im Westen Österreichs. Danach wechselte er zu IWC, damals noch unter der Führung von Günter Blümlein. Dieser hatte große Pläne. Die Neugründung von A. Lange und Söhne war wohl der größte Wurf, mit dem er Uhrengeschichte geschrieben hat, aber auch bei IWC wurde sehr ambitioniert gearbeitet. Man versuchte man damals auf Basis von im Hause entwickelten Modulen eine Produktpalette komplizierter Uhren zu entwickeln, die sich auch ein Normalverbraucher leisten konnte.
Blümlein wollte unbedingt einen Doppel Chronographen aber selbst der große Kurt Klaus winkte ab. Zu aufwendig, mit den Mitteln von IWC - damals noch viel kleiner als heute - wäre das nicht zu realisieren. So bekam der junge Richard Habring seine Chance und mit der Inspiration aus der Erfahrung mit den Stoppuhren aus dem Schisport schaffte er das, was niemand für möglich gehalten hätte. Der Fliegerdoppelchronograph ging in Serie und die da Vinci in Platin bekam den Rattrapante. Habring arbeitete danach mehrere Jahre unter Blümlein's Ägide bei Lange und Söhne in Glashütte, wo er auch seine Frau Maria kennen lernte. Maria hat das Uhrmacherhandwerk zwar als Autodidakt erlernt, ihr eigentliches Fachgebiet liegt aber in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Finanzen. Eine ideale Kombination, um erfolgreich eine Firma zu gründen... 2003 machte sich das Paar dann selbständig und eröffnete 2004 ihre eigene Uhrenmarke nicht in Glashütte, sondern in Völkermarkt in Kärnten.
Am Anfang bauten die Habrings hochqualitative Uhren auf Basis von ETA Werken. Als dann ETA im Jahr 2011 die Versorgung mit Rohwerken schrittweise zurückfuhr und ankündigte ab 2017 auch keine Ersatzteile mehr zu liefern, waren die Habrings in einem Dilemma. Sellita war qualitativ nicht auf Habring Niveau und die Aussicht vom ETA Monopol zu einem Sellita Monopol zu wechseln erschien nicht attraktiv. Also in den sauren Apfel beißen und als Viermannbetrieb (die Habrings und zwei Angestellte) selber ein Manufakturkaliber entwickeln. Als Inspiration diente das Arbeitstier Valjoux 7750, aber alle Teile wurden im Hinblick auf optimierte Kleinserienfertigung neu entwickelt. So ist es auch möglich alte ETA Kaliber ohne ETA Teile instand zu halten. Wesentliche Verbesserungen gab es vor allem im Bereich der Steuerung der Chronograph Funktion - schon im Hinblick auf die hauseigenen Komplikationen.
Heute hat Habring eine Produktpalette mit Dreizeigeruhren - als Handaufzug oder Automatik, Uhren mit springender Sekunde, konventionelle Chronographen und Chronos ohne Drücker, die über die Krone bedienbar sind. Dazu kommt noch der Doppelchronograph, eine Fünfminutenrepetition und ein ewiger Kalender, die letzten beiden mit Hilfe von Dubois Dépraz Modulen. Ca. 180 bis maximal 200 Uhren pro Jahr werden gefertigt - bei höheren Stückzahlen könnte die Qualität der Uhren nicht gehalten werden, daher bleibt eine Habring² ein rares - aber nicht übertrieben teures - Produkt.
Ich frage mich wie es möglich ist, dass eine Mikrofirma in der Lage ist, innerhalb von weniger als zehn Jahren das alles zu schaffen? Wenn der Ankerstein einen Hut hätte, würde er ihn jetzt ziehen aus Respekt vor Maria und Richard Habring - und außerdem will er unbedingt eine Habring Uhr....
Im Februar habe ich dann endlich eine Doppel 3 ergattert, ein Split-Second Chronograph mit Handaufzug und blauem Zifferblatt.
Als ich die Uhr dann im Fotothread zum ersten Mal postete, artete der Beitrag fast zu einer Uhrenvorstellung aus - Ihr könnt Euch vorstellen, wie happy ich war. Damals schon habe ich mir vorgenommen, Habring² so bald als möglich zu besuchen und bei meiner letzten Österreich Reise war es endlich so weit. Auf der Fahrt zwischen zwei Werksbesuchen konnte ich meine Mittagspause in Völkermarkt verbringen und Maria Habring war nach einem kurzen Telefonat bereit mir eine gute Stunde ihrer kostbaren Zeit zu schenken. Das Interview im nächsten Post...