Liebe Uhrenfreunde,
das Interesse an Uhren hat ja durchaus unterschiedliche Ausprägungen, sowohl was den Einsatz von Zeit als auch den Einsatz von Geld angeht. Eine öfters diskutierte (und nie abschließend beantwortete) Frage ist dabei, wann ist man ein "Sammler"? Da gibt es verschiedene Ansätze, die sich an der Gesamtzahl der Uhren, der Breite oder der Tiefe der angehäuften Uhren festmachen - von allem ein bisschen oder von einem bisschen alles, wären z.B. gängige Strategien, beides in verschiedenen Eskalationsstufen.
Bei mir haben sich im Laufe der Jahre viele Uhren angefunden - nicht alle sind geblieben, aber dennoch würde der aktuelle Bestand zahlenmäßig für eine "Sammlung" reichen. Und doch sind meine Armbanduhren eigentlich (fast) alles nur normale Uhren, die mir gefallen, die ich trage und von denen ich mich auch relativ problemlos wieder trenne, wenn sie mir nicht mehr gefallen oder ich sie nicht mehr trage. Das ist keine Sammlung. Anders sieht es aus bei meinen Taschenuhren, die zwar wertmäßig nicht groß ins Gewicht fallen und sich weder zum Tragen, noch als Investition lohnen - und doch (meist) unverkäuflich sind. Denn inzwischen hat fast jede dieser Uhren eine besondere Eigenschaft, eine Geschichte, eine technische Besonderheit oder einen Makel, der sie gefühlt einmalig macht - "so eine Uhr kriege ich nicht wieder, wenn sie erstmal weg ist". Deshalb muss sie bleiben.
Ein Antrieb ist dabei die Seltenheit, Dinge die nicht jeder hat, vielleicht sogar Dinge, die einmalig sind - weil sie immer einmalig waren oder es mit der Zeit wurden. Bei Uhren gibt es Bereiche, wo eine solche Einmaligkeit Exemplare unfassbar teuer macht. Jeder kennt zum Beispiel die atemlosen Hodinkee-Berichte von irgendwelchen Auktionen, bei denen die einzig bekannte Weißblech-Patek für Fantastillionen zugeschlagen wird. Das Schöne ist aber, dass Uhren (und Marken) so vielfältig sind, dass Seltenheit und Preis nicht zwingend korrelieren. Auch "normale" Menschen können hier Dinge sammeln, die einmalig sind oder zumindest äußerst selten.
Da echtes Sammeln nur in einem finiten Raum Sinn macht (wobei "Sinn" hier ein mutiges Wort ist...), finden sich die meisten Aktiven im Vintage-Bereich. Auch hier wurde durch vielerlei Hype manches Feld inzwischen unerschwinglich, aber gerade Taschenuhren sind davon weitgehend verschont geblieben. Auch beim Sammeln gilt in abgewandelter Form die alte Nick Hornby Weisheit: "Du suchst Dir nicht Deinen Club aus, Dein Club sucht Dich aus". Bei mir fing alles an mit der alten Taschenuhr meines (Ur-)Großvaters - lange her, aber bis heute ungebrochen:
Wie alles begann: IWC Cal. 65 Taschenuhr
Woran merkt man nun, dass einen die Sammelleidenschaft so richtig erwischt hat? Zum Beispiel daran, dass man nervös wird, wenn man ein belangloses Stück Papier sieht - und das unbedingt haben muss. Dass der Wahnsinn noch nicht vollends ausgebrochen ist, merkt man daran, dass dazu auch noch eine Uhr gehört
Und das ist der Aufhänger der heutigen Sammler-Episode - allerdings nicht der Startpunkt.
Nach der oben erwähnten Familien-TU kamen so einige weitere Exemplare, aber es dauerte eine ganze Zeit, bis ich endlich einen Fund machen konnte, der auch vor den Augen kritischer und langgedienter Sammler Bestand hatte. Das war damals eine Schuluhr der Uhrmacherschule Battenberg in Biel, die auf einem IWC Kaliber 97 basierte. So etwas hatte ich vorher noch nicht gesehen und die Altvorderen auch nicht
Ausführlich vorgestellt hatte ich die Uhr vor vielen Jahren einmal hier:
Ein unerwarteter Zufallsfund - IWC Schuluhr Kaliber 97
Wieder einige Jahre später kam eine weitere Rarität ins Haus, die gleich aus drei Gründen selten war: Eine Sonderedition des Juweliers Türler aus Zürich (der leider vor einigen Jahren aufgegeben hat und nur noch als Blancpain-Boutique weiterlebt), das Werk ein Kaliber 77 (ebenso selten wie gut) und ein selbstbewusster Schriftzug auf dem Zifferblatt: Chronometre.
Auch wenn das Kaliber 73/77 unter den Gelehrten als das vielleicht Beste in der Geschichte der IWC gilt, war man sich doch anderseits auch einig: Ein echter Chronometer war das nicht. Es gab da zwar einen sehr großen Graubereich (nicht immer war der Begriff genau definiert, manchmal auch gar nicht geschützt) - aber diese Uhr wurde nie regulär in einer Sternwarte geprüft und hat entsprechend auch kein COSC-Zertifikat (oder etwas Vergleichbares). Noch mehr: Es gibt keine IWC Chronometer. Gut, ganz ist das nicht richtig, denn es gab ja ein Modell mit COSC-Prüfung, die IWC Ingenieur Ref. 3521, gebaut von 1993 bis 2001:
Aber auch diese Uhr wurde nie mit einem Chronometer-Gangschein ausgeliefert, wie man es z.B. von Breitling kennt. Bei den Taschenuhren wird geraunt, dass es in Vorzeiten Decksuhren gab, die wohl Chronometer-Prüfungen unterzogen wurden. Aber wirklich dokumentierbar ist das wohl nicht. Zumindest habe ich noch nie entsprechende Papiere gesehen...