Liebe IWC-Freunde,
nach Wochen des heiteren Geplänkels, mal wieder zurück zum Thema - Uhren .
Wir haben ja nun an verschiedenen Stellen gelernt, dass die Motivation des Uhrenfreunds für den Erwerb seiner liebsten Stücke durchaus variiert. Der eine verlangt absolute Zuverlässigkeit, andere zielen auf Werterhalt, mancher mag es besonders individuell und wieder andere wollen am Handgelenk ein Statement abgeben. Interessanterweise ist dabei nicht jedem wirklich wichtig, was denn so in einer Uhr tickt - ob das handwerklichen Wert hat, ob es schön aussieht, ob es den Uhrmacher erfreut. Nicht ganz verwunderlich, bleiben doch heute oft - trotz penetrantem "Manufaktur"-Gesülze - viele U(u)r-Tugenden auf der Strecke.
Will man nun auch beim Werk große Kunst oder zumindest akkurates Handwerk auf höherem Niveau, wird es heute schnell prohibitiv teuer - wer Finissage will, wird vielleicht bei A. Lange & Söhne glücklich, wenn es Barock sein soll, bei Patek oder Vacheron, wenn die klassische Moderne ruft, und vielleicht bei JLC oder GO, wenn man nicht gleich Kleinwagen zum Juwelier tragen möchte.
Oder: Man geht in den Vintage-Bereich. Und hier lockt wieder - von mir immer gerne propagiert - die Taschenuhr. Da kriegt man noch was für sein Geld und oft was richtig feines. Und auch der Alltagsnutzen ist nicht geringer, als bei der 10. oder 20. Armbanduhr. Die kann man eh nicht tragen, sie liegt die meiste Zeit im Safe/Bankschließfach. Eine Taschenuhr kann man dagegen ganz zwanglos (und zur Freude der besseren Hälfte ) in der Wohnung verteilen - da hat man immer was zum Angucken zur Hand.
Mein Herz gehört ja bekanntermaßen einem eher engen Feld, nämlich den Nachkriegstaschenuhren von IWC. Die Schaffhausener waren (zusammen mit Patek) vielleicht die letzten, die die Fahne in diesem Bereich noch lange hoch hielten, als viele andere dem Anachronismus Taschenuhr bereits abgeschworen hatten. Bis 2007 gab es von IWC noch Taschenuhren ab Werk - den letzten Vertreter seiner Art, die IWC Ref. 5201 - hatte ich ja vor kurzem bereits vorgestellt .
Und nun kam die Gelegenheit, einen weiteren besonderen Vertreter dieser Reihe hinzuzufügen: Nach ein paar (unerklärlichen) eBay-Fehlschlägen zeigte meine my-eBay-Notiz vor ein paar Tagen an "kaufen, egal wie teuer" - eher gefährliche Einstellung, war dann auch ein "Liebhaber-Preis". Aber: wat mut dat mut, wie der Friese sagt.
War die Ref. 5201 die letzte Version des Kaliber 95, gilt das gleiche für das Kaliber 97 für die Ref. 5301 (die es noch bis 1992 gab) und deren großen Bruder, die Ref. 5305 - und die hat nun den Weg zu mir gefunden:
Was ist nun das besondere an dieser Uhr? Betrachtet man den Durchmesser, fällt auf, dass die Uhr deutlich massiver ist, als die sehr zierlichen Referenzen mit Kal. 95. Das Gehäuse hat ziemlich genau die Maße, wie sie es die frühen Lépine-TUs z.B. mit dem Kal. 65 hatten. Und das hat einen Grund: Sehr ungewöhnlich für eine offene Taschenuhr verfügt die Ref. 5305 über einen Sprungdeckel - und zwar auf der Rückseite. Das ermöglicht den direkten Blick aufs Werk, das nochmal durch ein Mineralglas geschützt wird. Gerade für den Alltag eine schöne Sache, spart die Taschenmesser-Fummelei und vermeidet Kratzer am Gehäuse.
Die zweite Sache ist das Werk an sich: Das Kaliber 9720 ist die dritte Ausbaustufe des Ursprungskalibers C.97 - die "2" bezeichnet die Incabloc-Stoßsicherung (seit 1967) und die "0" die Vergoldung - die klassischen 9X-Werke sind alle vernickelt, erst das "letzte Aufgebot" wurde vergoldet. Diese Uhrwerke stammen aus der Zeit während und kruz nach dem tiefsten Tief der Quarz-Krise, als viele (auch große Marken wie Breitling, Zenith, etc.) untergingen und auch IWC mehrfach am Abgrund standen. Neben Gold- und Brilli-Uhren für den Nahen Osten waren es damals Taschenuhren, die den Laden am Leben hielten - für eine Zeit Ende der 70er Jahre wurde sogar kurz überlegt, sich komplett auf die Nische Taschenuhr zurückzuziehen (es kam dann anders und mit der Kooperation mit Porsche Design begann die Renaissance der mechanischen Armbanduhr). Genau aus dieser Zeit stammt die Ref. 5305, die 1977 lanciert wurde und danach in kleinsten Stückzahlen gebaut wurde, bis sie 1984 schon wieder aus dem Katalog verschwand.
Zu Beginn kostete dieser Uhr (in Sterlingsilber) 1.450,- DM (zum Vergleich: eine Ingenieur 1832 kostete 1977 2.350,- DM und eine Yacht Club I 1811 1.015,- DM), dieser Preis stieg rasant auf zuletzt 3.650,- DM im Jahr 1984, also ungefähr vergleichbar mit einer (für damalige Verhältnisse schon unverschämt teuren) Ocean 2000.
Mein Exemplar wurde am 17.06.1986 verkauft, also rund 2 Jahre nach dem Auslaufen der Referenz. Verkäufer war ein auch heute noch aktiver Juwelier auf Deutschlands einziger Hochseeinsel, der den damaligen Rabattverboten zum trotz 20% gewährte - 2.920,- DM waren trotzdem noch ein stolzer Preis. Und nach mehr als zwei Jahrzehnten in der hintersten (südwestlichen) Ecke Deutschlands, hat es die Uhr nun wieder in den Norden verschlagen - komplett mit Box und allen Papieren und Gangwerten, bei denen die meisten aktuellen Chronometer die Waffen strecken müssten
So, wer es bis hierher ausgehalten hat, darf jetzt auch ein paar Bilder anschauen:
Die Box:
Der Inhalt:
Das Buch zur Uhr (kann ich nur wärmstens empfehlen):
Von vorne:
Die Rückseite:
Über den Drücker in der Krone wird der Sprungdeckel gelöst:
Die Referenz im Deckel:
Und schließlich das Werk:
Echte Schraubenunruh und am Schwanenhals erkennt man das Kaliber 97xx:
Vergoldet und Incabloc-Stoßsicherung - deshalb C. 9720:
Ein durch und durch goldiges Stück...
Gruß,
Christian