Winner's Curse (Part 1): JLC Polaris Mariner Memovox

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Uhrenfreunde,


    über die Jahre entwickelt sich das Uhrenhobby ja oft weiter: Anfangs sucht und kauft man meist eher die gängigen Marken und Modelle und das dann auch eher über "normale" Kanäle, also den Juwelier vor Ort oder (wenn man sich schon zu den Digital Natives zählt) bei den bekannten Online-Händlern wie Chronext und Co.


    Mit der Zeit werden dann die Käufe eher etwas spezieller und die Abenteuerlust beim Kauf nimmt zu. Man kauft die erste Uhr gebraucht im Forum, man riskiert mal was bei eBay Kleinanzeigen oder man hofft, dass das Treuhandsystem bei Chrono24 wirklich funktioniert. Je nach Risikoneigung (und Geldbeutel) kann man dieses Spiel recht weit treiben - wir leben schließlich in einem globalen Markt und mit guten Nerven kann man auch in Japan oder den USA Uhren kaufen und so eine Zolleinfuhr ist schließlich für sich schon ein spannendes Abenteuer :G ...


    Und wenn selbst das ein wenig fade geworden ist :bgdev: , dann begibt man sich auf die Suche nach irgendwelchen obskuren Vintage-Raritäten, die man erst nach jahrelanger Recherche irgendwie in den hintersten Winkeln der digitalen wie physischen Welt findet. Bei solchen Suchen stößt man unweigerlich auf diverse Webseiten, die Auktionsergebnisse archivieren - manche sind frei zugänglich, bei anderen muss man sich anmelden oder gar Kunde sein. Das sind sehr spannende Datenbanken, weil es eben doch zu eigentlich jeder Uhr etwas zu finden gibt.


    Dabei mache ich immer wieder die frustrierende Erfahrung, dass ausgerechnet diese extrem super seltene Uhr, die ich seit Jahren suche, offenbar für einen Appel und nen Ei vor drei Jahren in Hongkong oder Genf verkauft wurde :bash: . Und ich habe das natürlich nicht mitbekommen und habe so den Deal meines Lebens verpasst (immer wieder...).


    Um das zu vermeiden, habe ich mich mal vor einiger Zeit bei allen relevanten Auktionshäusern angemeldet (leider gibt es auch noch viele nicht relevante, bei denen gute Deals laufen, aber was will man machen...). Seitdem werde ich regelmäßig zugeschüttet mit virtuellen und physischen Katalogen aus aller Welt und in allen Preisklassen - leider oft auch solchen Dimensionen, die weit entfernt von meinen Mitteln sind.


    Voller Elan stürzt man sich dann auf das eine oder andere (vermeintliche) Schnäppchen und bleibt dann doch ernüchtert zurück: Gerade in den letzten 1-2 Jahren haben die Preise merklich angezogen, es ist einfach zu viel Geld im Markt. Bei keinem der gängigen Hype-Modelle kann man deshalb irgendwo noch einen Schnapper machen - das passiert einfach nicht mehr. Selbst bei völlig obskuren Taschenuhr-Spezialitäten taucht da doch noch immer ein Mitbieter auf.


    Und dann wird es schnell gefährlich: In jungen Jahren habe ich mich mal intensiver mit Auktionen (und auch Aktionstheorien) beschäftigt. Das ist alles eher dröge und kompliziert, aber eine recht einfache Theorie sollte man parat haben - Winner's Curse. Die unterstellt, sehr vereinfacht gesagt, dass der Gewinner einer Auktion ein relativ hohes Risiko hat, zu viel zu bezahlen. Schließlich haben sich ja auch alle anderen Bieter das Gut angeschaut und eben nicht so viel geboten. Diese Theorie hat ein paar Nebenbedingungen - zum Beispiel braucht man einen einigermaßen transparenten Markt, wo eine ausreichende Zahl von unabhängigen Bietern vorhanden ist (was aber meist der Fall ist). Und dann braucht es Unsicherheit, die durch unvollständige Informationen ausgelöst wird - wenn man also nicht genau weiß, was das Gut wirklich wert ist.


    Nun kann man sagen: Die Marktpreise von gängigen Uhren kennt man ja, wo ist da das Risiko? In der Realität stößt man da auf drei Probleme:


    Erstens sind die Uhren oft weit weg, man kann sie also nicht real anschauen. Die Beschreibungen und Bilder sind aber oft eher mies und gerade bei kleineren Beträgen haben die Auktionshäuser auch wenig Ehrgeiz, das zu ändern. Jetzt machen aber Kleinigkeiten manchmal schon einen gravierenden Unterschied für den Marktpreis aus.


    Zweitens sind die Preisstrukturen von solchen Auktionshäusern - vorsichtig formuliert - eher komplex. Gebote werden netto netto aufgerufen, ohne Aufgeld, Steuern, Gebühren etc. pp. - nicht selten gibt es da ein böses Erwachen, wenn am Ende die Rechnung kommt...


    Drittens kommt die Psychologie ins Spiel: jetzt hat man sich da wochenlang auf die Auktion vorbereitet, das Ziel klar vor Augen und nun will man sich das nicht von irgendjemand anderes wegschnappen lassen. Dazu kommt, dass man in der Auktion unter extremen Zeitdruck Entscheidungen treffen muss - diese Entscheidungen aber durch die beiden Punkte oben ziemlich komplex sind. Da lässt man sich dann schon mal hinreißen...


    Denn der aufgerufene Preis erscheint eigentlich immer eher günstig - da fehlt ja dann aber noch einiges.


    Mal ein Beispiel: Voller Freude ruft man bei einer Genfer Auktion für die Lieblings-Stahlsport-Rolex "Hier" bei 10.000 CHF. Toller Preis, aber was zahlt man am Ende?


    Zuschlagspreis: 10.000 CHF

    Aufgeld: +25%

    Bearbeitungsgebühr (warum? weil sie es können...): +1%

    Versand: ca. +2%

    Versicherung: ca. +1%

    Kreditkartengebühren Fremdwährung: ca. +0-2%

    EinfuhrUSt: +19%

    Handling-Gebühr Zollabwicklung: ca. +0,5-1%


    Wenn man das durchrechnet, sieht das ganz schnell ganz anders aus :eek: - da landet man nämlich schnell bei 15.000 und zwar Euro :motz:


    Deshalb habe ich mir als Faustformel antrainiert: Zuschlagspreis in CHF/USD *1,5 = Endpreis in Euro.


    Und plötzlich sehen viele dieser ach so tollen Schnäppchen gar nicht mehr so attraktiv aus... Gerade bei Uhren aus aktuellen Kollektionen kann man deshalb solche Auktionen komplett vergessen, zumal sie eben fast immer außerhalb der EU abgehalten werden. Und selbst wenn die Auktion mal in Monaco oder Paris ist, sind viele Lose unter einem steuerlichen Vorbehalt und es wird trotzdem EinfuhrUSt fällig. Da empfiehlt es sich, ganz besonders die Texte zu kleinen Sternchen oder Fußnoten zu lesen, das kann sonst zu richtig teuren Überraschungen führen.


    Fazit: Auktionen bei den großen internationalen Playern sind ein ganz schwieriges Thema, von dem man als Laie oder Halblaie bloß die Finger lassen sollte.


    Jetzt fragt sich der ungeduldige Leser: Was hat das nun mit der im Titel aufgeführten Uhr zu tun?


    Wenn man anderen gute Ratschläge gibt, heißt das ja nicht, dass man sie auch selbst befolgt... :rolleyes:  :wech:


    Entsprechend kam vor einiger Zeit die JLC Polaris Mariner Memovox bei mir ins Haus, weil ich trotz der hier vorgetragenen Weisheiten selber mein Paddel nicht unten halten konnte - und was noch bedenklicher ist: Obwohl so eine Transaktion einen ziemlichen Heckmeck mit sich bringt, habe ich es noch nicht mal bereut ;)


    Mehr Infos zur Uhr kommen noch, jetzt aber erst ein paar Bilder, um diese Textwüste etwas abzumildern:















    Manchmal führt der Weg zum Glück eben doch über Unvernunft... :G


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    So, wie versprochen jetzt noch ein paar Worte zur Uhr, denn um die geht es ja eigentlich:


    JLC hat ja im Wecker-Bereich eine sehr lange Historie und auch jüngerer Zeit immer wieder spannende Modelle mit dieser Komplikation herausgebracht. Wenn man so die Uhren der letzten Jahre durchgeht, gibt es im Wesentlichen zwei Kaliber zur Auswahl: Zum einen bei den älteren Modellen das Kal. 918 - das erste Kaliber mit einer echten Tonfeder, die den für JLC so typischen Weckerklang erzeugt (vorher wurde gerasselt, ähnlich wie bei einer Vulcain Cricket).


    Das ist ein sehr robustes Kaliber, das sich im Alltag bewährt hat und das in ganz verschiedenen Referenzen verwendet wurde:


    Master Compressor Memovox (Vorstellung hier: Ein Neuzugang für den aufgeweckten Uhrenfreund... )


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    Master Réveil (Vorstellung hier: "Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden" - Teil 2 )


    341877-comp2-dsc-0270-01-jpg


    oder Amvox 1 (Vorstellung hier: Vom Suchen und Finden: Wer kriegt den letzten freien Platz in der JLC-Box? )


    342160-comp2-dsc-0609-01-jpg


    Jetzt haben diese Werke auch ein paar kleinere Nachteile: Zum einen ist hier altersbedingt meist ein Service von Nöten und eine solche Revision kostet durchaus Geld. Zum anderen ist man heute auch bei den funktionalen Eigenschaften etwas weiter: Damals gab es noch keine Datumsschnellschaltung, die Gangreserve ist nicht riesig und die Wecker klingeln nach - auch wenn der eingestellte Alarm abgelaufen ist, schlägt der Hammer bei Bewegung gegen die Tonfeder. Das kann man zwar teilweise umgehen, indem man die entsprechende Krone zieht. Aber dann ist die Uhr nicht mehr wasserdicht, was auch nur bedingt hilft.


    Diese Schwächen wurden in der Nachfolgegeneration behoben, dem Kaliber 956, wie es heute in fast allen modernen Referenzen verbaut ist.


    Dieses Kaliber hatte ich bisher einmal bei mir und zwar in eine Navy Seals Alarm (wie sie Bernd heute hat):


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    (Die alte Vorstellung findet sich hier: Neuzugang: JLC Navy Seals Alarm ).


    Auch wenn sie nicht der erste JLC-Wecker war, ist die Polaris eigentlich immer das Referenzmodell von JLC in diesem Bereich gewesen - vergleichbar bei Weckern nur mit der Vulcain Cricket Nautical aus der gleichen Periode (die Cricket kam 1961 auf den Markt, die Polaris 1968). Entsprechend gab es gleich zwei Neuauflagen dieser Ikone: Einmal 2008 und einmal 2018, also zum 40. bzw. 50. Geburtstag der Ur-Polaris. Die 2008er Version versuchte dabei, optisch möglichst eng am Original zu bleiben, hatte aber im Detail ein paar Probleme (vor allem mit der SL-Beschichtung). Mit diesem Modell wurde das Kaliber 956 erstmals vorgestellt.


    Die 2018er war dagegen eine nicht nur technische sondern auch optische Weiterentwicklung, quasi eine moderne Interpretation der Polaris - und ziemlich erfolgreich, zumindest waren die 1000 Uhren schnell weg.


    Nach diesem Erfolg wollte JLC nachlegen, musste aber natürlich trotzdem einen gewissen Abstand zur limitierten Version halten. Und so kam dann letztes Jahr die Polaris Mariner Memovox auf den Markt. zwar nicht limitiert, aber offenbar doch nur schwer zu bekommen.


    Die Unterschiede zur 2018er Version sind vor allem in der Optik: Statt schwarz gibt es jetzt ein tiefblaues Blatt mit Farbverläufen und ein paar Akzenten in Orange. Und auch technisch gibt es einige Unterschiede: Glasboden (statt Stahl), 30 bar (statt vorher 20 bar) und ein Stahlband (vorher gab es nur Kautschuk). Und der Preis wurde heftig nach oben geschraubt - was auch der Hauptkritik-Punkt an dieser Uhr ist, die ansonsten sehr gut ankam (auch bei mir).


    Da wir das Thema Preis oben schon erledigt haben, hier ein paar Hintergründe zum Werk - die Funktionsweise wird schön in diesem Video gezeigt:


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    Auf Fotos sieht das dann so aus:







    Die Tonfeder ist jetzt außen verbaut und wird vom Hammer seitlich angeschlagen.


    Das Band ist eher klassisch gestaltet mit einem Wechsel von polierten und satinierten Flächen, die Elemente sind einfach gestiftet (die alten Titanbänder hatten dagegen extrem aufwändig verdeckte Schrauben). Die Schließe bietet zu beiden Seiten eine Feinverstellung zum Ausklappen (jeweils ungefähr ein halbes Bandglied).





    Die Kronen haben alle das JLC-Logo drauf, deshalb muss man sich die Funktionen merken: Obere Krone Wecker aufziehen (0) bzw. in der (1) Position nach oben die Datumsschnellschaltung, nach unten die Einstellung des Alarms, über die mittlere Krone stellt man den Drehreif und an der unteren Krone auf (0) Handaufzug bzw. (1) Uhrzeiteinstellung.


    Wenn man die mittlere Krone nicht zugeschraubt hat, sieht man als Warnung eine Warnmarkierung in orange:



    Weitere Details findet man noch auf der entsprechenden JLC-Seite:


    Polaris Mariner Memovox 9038180 Edelstahl Herren Automatik, Automatikaufzug Armbanduhr | Jaeger-LeCoultre


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    Herzlichen Glückwunsch zur Uhr!


    Gestatte mir die Frage, warum man sich das mit dem Auktionshaus antut, statt sie einfach beim Konzi zu ordern?

    ... einfach gesagt: Lieferzeit und Preis - die Konzis vor Ort haben mich bei beiden Themen nur traurig angeschaut.


    Auf diesem Weg ging es deutlich schneller, wenn alles rund läuft, hat man eine Uhr 3-4 Werktage nach der Auktion in der Hand, trotz Zoll. Und manchmal passt es preislich dann überraschenderweise ja doch... ;) .

    Gruß,

    Christian

  • Schöne Uhr und nachvollziehbare Vorstellung..


    Ich selbst war schon das ein oder andere Mal

    „Glücklich“ bei den internationalen Auktionshäusern den Zuschlag nicht bekommen zu haben.. die von dir angesprochenen Gebühren fressen die Ersparnis oft

    Nicht nur teilweise auf..


    viel Spaß mit der Memovox 😎👍🏻