Winner's Curse (Part 6): JLC Pendulette Ref. 360 "Flamme"

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Uhrenfreunde,


    einen hab ich noch... - ich hatte das ja an anderer Stelle schon mal erwähnt, bei einer der vorherigen Auktionen (genauer beim Kauf der "Invalides"-Schuluhr) gab es noch einen "Beifang". Und zwar wurde im Rahmen dieser Auktion eine komplette Sammlung von JLC Stiluhren versteigert, der Fachmann kennt diese Uhren-Kategorie als "Pendulette".


    Ich bin ja für jede Spielart von Uhr offen und so hat sich bei mir von der Standuhr oder Schiffschronometer bis hin zur Atmos vieles angesammelt. Die JLC Pendulettes haben dabei bei den Großuhren einen besonderen Platz bei mir: Zum einen aufgrund des Designs, denn diese Uhren gab es in unzähligen Varianten, die gestalterisch den Geschmack von gut 6 Jahrzehnten abbilden. Die ersten dieser Uhren stammen aus den 1930er Jahren, die letzten dürften bis in die 1990er Jahre verkauft worden sein. Zum anderen ist es die faszinierende Technik, denn anders als viele normale Großuhren schlagen in den JLC Pendulettes weder Quarz-Werke noch schlichte Küchenuhr-Kaliber - nein, hier gibt es Mechanik vom Feinsten, die auch noch von allen Seiten sichtbar ist. Die sogenannten "Baguette"-Werke (im Englischen auch Baton-Kaliber genannt, im Deutschen auch Stabwerke) gehören zu den schönsten Werken, die JLC hervorgebracht hat - was ja einiges heißt...


    Eine Handvoll dieser Uhren hat inzwischen den Weg zu mir gefunden, so richtig vorgestellt hatte ich in all den Jahre aber nur eine (und die ist inzwischen in anderen Händen): Lust auf Baguette - Das JLC Stabuhrwerk Kal. 250 .



    Diese Uhren einzuordnen ist nicht ganz einfach, es gibt aber von der technischen Seite zwei Generationen. Bei meiner Ref. 566 von oben ist ein Kal. 250 verbaut, das 1979 mitten in der tiefsten Quarz-Krise vorgestellt wurde. Diese Werk verfügt sowohl über eine Kif-Stoßsicherung als auch eine moderne Feinregulierung - daran kann man das Werk relativ schnell erkennen:




    Dieses Werk löste die erste Generation der Stabuhren ab, die mit dem Kal. 210 ausgestattet waren. Dieses Kaliber wurde schon 1938 vorgestellt und wurde bis mindestens Ende der 1960er Jahre, vermutlich sogar bis in die 1970er Jahre gebaut. Eine sehr schöne Übersicht zu diesem Kaliber und den Modellen findet sich bei Blomman ( https://blommanwatchreport.com…ck-354-baguette-movement/ ), von dem auch die beiden folgenden Bilder stammen:




    Die quadratische Ref, 354 ist dabei relativ häufig zu finden und wurde sehr lange in den Katalogen aufgeführt und war auch in der Auktion im Angebot. Doch ich hatte meine Augen auf ein anderes Modell geworfen, das ich vorher noch nie gesehen hatte und von dem ich bis heute kein zweites Exemplar finden konnte - nicht einmal ein Foto:



    Diese Referenz 360 stammt aus der gleichen Periode wie die 354, entsprechend ähnlich sind die technischen Lösungen und Design-Elemente. Aber die Form der 360 ist einmalig, gerade durch den mehrfach geschwungenen Korpus:





    Die musste ich also haben. Nun sind diese Uhren normalerweise nicht teuer - man bekommt optisch intakte Exemplare der gängigen Referenzen ab 600-800 Euro und selbst die aufwändigen Referenzen kosten oft nicht wesentlich über 1000 Euro. Allerdings gibt es einen Haken: Es macht einen großen Unterschied, ob die Uhren auch (vernünftig) laufen - denn falls nicht, wird es schnell sehr teuer. Ein Service bei JLC ist happig bepreist und freie Uhrmacher, die sich an solche Uhren trauen, sind leider selten. Das hat aber auch einen nachvollziehbaren Grund: Ersatzteile für diese Uhren sind praktisch nicht mehr zu bekommen.


    Entsprechend unerfreut war ich, als die Uhr bei mir eintraf - und komplett tot war. Weder Zeigerwerk noch Aufzug ließ sich bewegen und wenn es sanft nicht geht, sollte man es auf keinen Fall mit Gewalt versuchen. Sehr ärgerlich und da sind wir wieder beim Problem mit den Auktionen: Aus der Ferne ist der Zustand kaum zu erkennen und die Beschreibungen lesen sich oft eher wie Packungsbeilagen - es wird grundsätzlich eine Revision empfohlen. Das heißt nur leider nichts, da ich genug Uhren in sehr gutem Zustand bekommen habe trotz dieser Empfehlung. Doch hier ging nichts...


    In Corona-Zeiten hatten auch Juweliere lange geschlossen und so blieb über Monate nur das Reparatur-Geschäft. Vielleicht deshalb konnte ich den Uhrmacher meines Vertrauens überreden, sich dieses Falles anzunehmen. Wobei uns beiden klar war, dass das ein Langzeitprojekt wird, da schnell klar war, dass es ohne Ersatzteile nicht geht - Zugfeder, Unruhwelle, Minutenrad...


    Doch mit Geduld und Spucke klappt einiges und so konnte ich die Uhr nach knapp 10 Monaten vor kurzem wieder abholen. Nach langer Suche konnten alle benötigten Teile gefunden werden und die Uhr wurde wieder zum Leben erweckt - mit erstaunlich guten Gangwerten.


    Natürlich sieht man gerade bei den Nahaufnahmen manche optische Alterungsspuren - aber das ist nach ca. 60 Jahren zu erwarten. Ticken tut sie nun wie am ersten Tag und bringt dem Besitzer öfters mal ein Lächeln ins Gesicht :G


    Leider sind diese Uhren nicht sehr fotogen und live deutlich schöner als auf meinen Bildern - aber für einen Eindruck sollte es reichen :lupe:













    Sicherlich optisch nicht jedermanns Sache, aber ein wirklich seltenes Zeitzeugnis...


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    ... so, jetzt nochmal ein paar Bilder vom Werk - da es hinter Glas ist, nicht immer perfekt scharf eingefangen.


    Bei einem Stabwerk sind alle Bestandteile des Kalibers linear angeordnet, wodurch man einen wunderbaren Einblick in die Mechanik bekommt:




    Ein Merkmal des Kaliber 210 - die fehlende Stoßsicherung. Der Lagerstein der Unruhwelle wird durch eine polierte Brücke und zwei Schrauben gehalten:



    Das Räderwerk liegt komplett offen, die Zeiger sind nicht massiv und an manchen Stellen leicht angelaufen:




    Das massive Federhaus sorgt für die 8 Tage Gangreserve:



    Wer genau hinsieht, kann die entsprechende "8" auch auf dem Glas erkennen:




    Über die Flügelschraube zieht man die Uhr auf, über die Krone darüber stellt man die Uhrzeit ein:



    Anders als beim Kaliber 250 gibt es beim Kaliber 210 nur einen einfachen Rückerzeiger zur Feinregulierung:



    Aufpassen muss man bei diesen Uhren beim Transport - wenn die Uhr hinten auf die Schrauben fällt, ist das Werk schnell hinüber. Und besonders bei dieser Uhr ist das Glas natürlich heikel. Das kriegt man nicht so leicht ersetzt...


    Nicht wundern muss man sich bei diesen Stiluhren, wenn der JLC-Schriftzug fehlt oder komisch aussieht. Leider reibt der sich beim Abwischen des Glases mit der Zeit ab. Eventuell kann es auch ein Hinweis auf einen Glastausch sein.


    Gruß,

    Christian

  • Toll, Hut ab vor so viel Fachwissen und der aussagekräftigen Bebilderung.

    Danke für's Zeigen...:verneig:

    Grüße - Gerd... :wink:


    Sascha, Unvergessen!:blume:


    Kein Instagram, kein Facebook. Kein TikTok, kein anderes Gedöns, das ist ja wie ein Gefängnisausbruch! Herrlich!

  • Besten Dank für Deine Mühe, uns eine nicht alltägliche Variante eines Zeitmessers zu zeigen und erläutern. Nicht dass ich dächte, ich kenne schon alles, im Gegenteil. Umso mehr bin ich diesem wunderbaren Gerät angetan.