Ich kann mich noch gut erinnern als ich das erste Mal vor 25 Jahren ins Reich der Mitte kam und mich meine damaligen Kollegen in ein Geschäft lotsten, in dem man eine Fake-Uhr nach der anderen erwerben konnten.
In meinem jugendlichen Leichtsinn ließ ich mich dazu verleiten, eine im Nachhinein entsetzlich gemachte Rolex-Fake Uhr zu kaufen.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich mein Uhrenhobby doch in eine seriöse Richtung und irgendwann fand ich, viele Jahre später, beim Ausmisten in einer Schublade die mittlerweile völlig oxidierte Fake-Uhr und entschied mich, diese doch mal näher zu betrachten.
Es kam ein sehr grobes Werk zum Vorschein, keinerlei Entgratung und geradezu schlackernde Zapfen in den teils schräg eingepressten Steinlagern. Ein Beispiel des Vorurteils „Made in China“.
Nun kam ich zum letzten Mal nach China, zumindest beruflich. Meine Vorliebe für exotische Uhren jedoch ist geblieben. Schon seit einiger Zeit liebäugelte ich mit der Referenz 819.415 von Sea-Gull. Eine Automatikuhr zum 60. Jubiläum der Marke.
In Peking war diese Uhr leider vergriffen und meine Hoffnung sie an meinem nächsten Ziel, der Stadt Shenyang im Norden zu finden, war doch sehr gering.
Denn in dieser, für chinesische Verhältnisse Kleinstadt mit 3 Mio. Einwohnern, dominiert aufgrund vieler Neureicher eindeutig schweizer Luxus.
Denn einheimische Marken haben in China immer noch einen schlechten Ruf.
Als ich durch die Uhrenabteilung eines Kaufhauses schlenderte, erblickte ich einen winzigen Sea-Gull Verkaufsstand. Meine Hoffnung schwand gegen Null. Doch siehe da, inmitten immerhin einiger ihrer Tourbillons, sauber verpackt in Schutzfolie, erblickte ich den Gegenstand meiner Begierde!
Mit freundlicher Gestik deutete ich auf meine Kaufabsicht und verließ mit einer Sea-Gull Einkaufstasche das Geschäft.
Die Holzbox zeigt das es sich um eine höherwertige Uhr der Marke handelt.
Das Zifferblatt mit Datum bei der 6, einem Sekundenzeiger mit dem Markenemblem und dem speziellen Aufdruck für das 60. Jubiläum.
Das Gehäuse misst 40mm x 9mm und wird von 2 Saphirgläsern geschützt, das obere ist leicht gewölbt.
Das Werk ist ein alter Bekannter. Das rhodinierte Sea-Gull ST1812, ein Nachbau des ETA2829.
Die Ganggenauigkeit beträgt ca. +2 Sek./Tag und ist in allen Lagen sehr stabil.
Nicht schlecht für „China Made“.
Die signierte Butterfly-Schliesse an einem schwarzen Lederband funktioniert perfekt.
Die signierte Krone lässt sich perfekt bedienen. Die Zeigerstellung, die Datumsfunktion und der manuelle Aufzug funktionieren reibungslos und sanft.
Kurzum eine sehr gut gemachte, nicht alltägliche Uhr auf hohem Qualitätsniveau.
Die Zeiten der billigen, schlecht gemachten „Schätzeisen made in China“ sind vorbei.
Natürlich sind auch die Billigpreise vorbei: gute Qualität hat ihren Preis, ob bei uns oder in China. Mit ca. 520 Euro war sie nicht gerade günstig.
Ich habe mit eigenen Augen die Veränderungen des letzten Vierteljahrhunderts in China verfolgen können. Irgendwie schade, denn die ursprünglichen, typischen Stadtviertel in den Metropolen wie Shanghai oder Peking sind für immer verschwunden. Gerade für das Reich der Mitte gilt ganz pragmatisch, daß sich Fortschritt nicht aufhalten läßt. Das schliesst die Uhrenindustrie mit ein.
Ob das Mao gefallen würde? Ich weiß es nicht.