Geschätzte Lounger! Der Beitrag soll ein wenig Licht ins Dunkle des von Rolex verwendeten Stahls Oystersteel bringen. Und um gleich einmal vorwegzunehmen warum er von Rolex zwischenzeitlich als „Oystersteel“ und nicht mehr als 904L bezeichnet wird: Weil es sich bei Oystersteel um eine Rolex-eigene Legierung der Stahlsorte 904L handelt. Doch bevor wir uns dem Thema annähern erscheint es mir sinnvoll kurz auf die Firmenstruktur von Rolex einzugehen. Wilsdorf hat dafür Sorge getragen dass Rolex nach seinem Ausscheiden als Stiftung weitergeführt wird. Das bedeutet dass der erwirtschaftete Gewinn nicht an Aktionäre ausbezahlt wird wie das bei börsennotierten Herstellern üblich ist, sondern in der Firma verbleiben muss. Und da es bei Rolex nie an Gewinn mangelte konnte, ja musste alles wieder in die Firma reinvestiert werden. Geld, das statt an Aktionäre in Forschung, Entwicklung und Investitionen in die Zukunft der Uhren von Rolex ging und geht. Ein Vorteil für den Hersteller und für den Käufer, womit ich zum eigentlichen Thema überleite. Wie alle Hersteller verwendete Rolex ursprünglich den für Uhren durchaus geeigneten Stahl 316L, ein Edelstahl mit ausgezeichneten Eigenschaften. Weitgehend resistent und schön zu polieren, denn Rolex legte immer Wert darauf mit den Uhren den Bereich Toolwatch ebenso abzudecken wie den Bereich Luxus. Nun hat 316L jedoch den Nachteil, nicht dauerhaft resistent gegen Salzwasser zu sein. Und Salze finden sich nicht nur im Meer sondern auch im Hautschweiß. Werden Uhren nun, wie es früher durchaus üblich war, ständig und so lange getragen bis irgendetwas nicht mehr funktioniert, dabei wenig bis gar nicht gepflegt, beim Duschen und Baden mit Süßwasser vielleicht noch abgelegt, dann kann sich im Lauf vieler Jahre Lochfraß bilden. Ein Phänomen, das alle Hersteller betrifft die 316L verwenden. Auf den ersten Blick keine Causa Prima weil sich das Phänomen immer erst nach sehr vielen Jahren und wenig Pflege zeigen kann, aber nicht einmal zeigen muss, in Einzelfällen jedoch problematische Auswirkungen hat. Hier ein Beispiel wie sich Lochfraß bei Uhren auswirkt (meine Quelle ist auf den Fotos ersichtlich): Wer die Geschichte von Rolex kennt weiß dass Rolex damit nicht zufrieden sein konnte. Rolex hat für sich den Anspruch nur das Beste zu liefern, und das in bester Qualität, wobei intern laufend hinterfragt wird ob das Beste von gestern noch das Beste von heute ist. Und so wurde nach einem Material gesucht das einerseits resistent gegen diese Einflüsse ist andererseits aber weiterhin edel polierte Flächen wie es von einer Luxusuhr erwartet wird zulässt. Damit schieden Materialen wie Titan, Keramik oder U-Boot Stahl wie von Sinn verwendet aus, während auf 904L genau diese Eigenschaften zutrafen. Bei dieser Stahlsorte handelt es sich um einen hochlegierten, kohlenstoffarmen, austenitischen Edelstahl, der oft dort angewendet wird, wo die Korrosionsbeständigkeit von 316L nicht ausreichend ist. Im Vergleich zu 316L ist 904L zudem unmagnetisch – ganz gleich unter welchen Bedingungen und damit gerade für Uhren ein nicht zu unterschätzender Vorteil - und weist einen hohen Grad an Zähigkeit selbst bei sehr tiefen Temperaturen auf. Was die Korrosionsbeständigkeit betrifft ist 904L im Gegensatz zu 316L mit Edelmetallen vergleichbar. Wie wird nun Korrosionsbeständigkeit gemessen, sodass man einen Vergleich ziehen kann? Anhand eines Wertes der sich als PREN bezeichnet, wobei Edelstähle erst ab einem PREN-Wert von 34 als ausreichen salzwasserbeständig gelten. Hier ein kleiner Exkurs in die Welt der Boote, in dem das Thema sehr verständlich behandelt wird: Bundesverband Wassersportwirtschaft e.V. Hier klicken [] [URL:https://www.bvww.org/mitgliederservice/fachinformation/aktuelles/detailseite/?uid=793] Der PREN-Wert von 316L unter anderem im Vergleich zu 904L. Nachdem bei Rolex die Entscheidung für 904L gefallen war galt es diese umzusetzen. Das Problem dabei: 904L ist zwar nur unwesentlich härter als 316L, lässt sich aber deutlich schwerer bearbeiten und benötigt vollkommen neue Werkzeuge und einen vollkommen neuen Maschinenpark. Ein ganz guter Vergleich ist jener von Gold- und Platinuhren. Platinuhren sind deutlich teurer als Golduhren was nicht dem Materialpreis sondern der deutlich aufwendigeren Bearbeitung geschuldet ist. So ist es auch bei 316L vs 904L, mit dem Unterschied dass Rolex mit dem 904L vom Verkaufspreis her vergleichbar geblieben ist. Es waren für die Umstellung also hohe Investitionen notwendig und hier kommt der Vorteil von Rolex als Stiftung zum Tragen, die es einem Hersteller, völlig losgelöst von Börse und Aktionären deutlich leichter macht ein derartig kostenintensives Projekt auch umzusetzen. Dass das auch für Rolex nicht leicht zu stemmen war zeigt der Umstand dass mit 1985 beginnend vorerst nur die Gehäuse in 904L produziert wurden. Die Bänder, deren Umstellung später erfolgte, vorerst weiterhin in 316L, wohl auch im Hinblick darauf dass ein Rolex Band, das aus ca. 200 Teilen besteht und geringste Toleranzen aufweist, erfahrungsgemäß 30 bis 40 Jahre lang getragen werden kann ohne repariert werden zu müssen. Rolex bekommt seinen Stahl als Rohmaterial geliefert. Bevor dieses die Gießerei erreicht werden die Rohmaterialien in verschiedensten Tests auf Reinheit überprüft, wozu auch ein Poliertest gehört. Um zu verdeutlichen wie genau Rolex bei diesen Test vorgeht eine kleine Geschichte: Einer dieser Poliertests ergab einmal einen kleinen Kratzer auf der Oberfläche eines Barrens, „Komet“ genannt. Bei der Untersuchung mittels Elektronenmikroskops stellten die Prüfer einen winzigen Partikel von 8 Mikrometern Durchmesser vor dem Kometen fest und die hauseigene Analyse ergab dass dieser aus Titan bestand. Eine Rückfrage beim Lieferanten ergab dass ein Schmelzofen zuvor für die Herstellung von Titan für einen anderen Kunden verwendet wurde und trotz Reinigung offenbar Spuren darin zurückblieben, woraufhin Rolex die gesamte Lieferung ablehnte und 10 Tonnen Stahl an den Lieferanten zurückgingen. Hat der Stahl jedoch alle Vortests bestanden wird dieser von Rolex in der hauseigenen Gießerei weiterbearbeitet. Nach dem Gießen wird das Material, um darin enthaltene Verunreinigungen/Einschlüsse zu entfernen, erneut in einem Vakuumgefäß gelöst, gereinigt und mittels Rasterelektronenmikroskop die Reinheit bestätigt. Das Rasterelektronenmikroskop das Rolex zur Qualitätskontrolle einsetzt vergrößert um den Faktor 500.000 und analysiert gleichzeitig die Zusammensetzung des Materials. Das alles macht Rolex selbst. Erst dann gibt Rolex das Metall intern zur weiteren Herstellung frei. Vorpoliert werden die fertigen Gehäuse dann von einem Roboter, der nach jedem 10. Gehäuse nachkalibriert werden muss damit er die notwendige Präzision behält. Zu Ende poliert werden Gehäuse und Bänder immer zu 100% von Hand, da nach Meinung von Rolex nur das menschliche Auge und die menschliche Hand jene winzigen Unvollkommenheiten entdecken können, die ein Gehäuse noch aufweisen kann, wobei anzumerken ist dass der Beruf des Polisseurs in der französischen Schweiz ein dreijähriger Lehrberuf ist, der bei uns nicht einmal bekannt ist. Polieren ist also nicht gleich polieren und im Zweifelsfall würde ich persönlich meine Uhr zur Aufbereitung immer nur Rolex anvertrauen. Alles in allem war die Umstellung von 316L auf 904L für Rolex eine erhebliche logistische Herausforderung und kostenintensive Investition, die sich keinesfalls mit „Marketing“ rechtfertigen lässt und gut überlegt worden war, zumal die bisher verwendeten Maschinen für 316L ja durchaus funktionsfähig waren und 316L üblich, anerkannt und geschätzt war und ist. Dass diese speziell von Rolex aus den genannten Gründen verwendete Stahlsorte „Oystersteel“ von Rolex seither auch entsprechend vermarktet wird darf nicht verwundern, das würde jedes Unternehmen nicht anders machen, die Entscheidung für 904L fiel jedoch nicht aus Marketingründen. Das wäre schlicht zu teuer und wohl auch nicht treffsicher genug gewesen, zumal man selbst als uhrenaffiner Käufer mit dem freien Auge nicht wirklich einen Unterschied zu 316L feststellen kann und die meisten schlicht nicht wissen welche Motivation hinter der Entscheidung für Oystersteel steckte. Danke für‘s Lesen.