Liebe IWC-Freunde,
wie im anderen Faden versprochen, nun eine zweite geschichtliche Geschichte, die ich noch in der Ruhe zwischen den Tagen loswerden wollte - und die, zumindest was den inhaltlichen Kontext angeht, wiederum die erwähnten Bände zur Unternehmensgeschichte von David Seyffer aufgreift.
Der alte Faden zum Thema "Quarzkrise"...
IWC: Neues zur IWC-Unternehmensgeschichte: Warum die Quarzkrise keine Quarzkrise war
... endete ja quasi bei Not und Elend - offen blieb die Frage: Wie hat IWC diese schwerste Krise der Nachkriegszeit überstanden? Im Wesentlichen mit dem üblichen Handwerkszeug, das man aus dem Handbuch der Krisenbewältigung kennt:
Das allerwichtigste ist dabei zunächst Liquidität - ist das Geld alle, ist alles vorbei. Entsprechend müssen alle Maßnahmen erst einmal darauf gerichtet sein, frisches Geld zu bekommen. Die Eigentümer-Familie Homberger war damals stark involviert, hatte aber natürlich nur vergleichbar begrenzte Mittel zur Verfügung. Die wurden allerdings mobilisiert und wieder ins Unternehmen eingebracht. Von Bankenseite war dagegen nichts zu holen und auch mögliche andere Schweizer Investoren hielten sich sehr zurück.
Also musste man alles zu Geld machen, was da war und insbesondere die aufgelaufenen hohen Lagerbestände abbauen. Dabei konnte man nicht wählerisch sein. Die Geschichten von Reisen in den Nahen Osten mit einem Koffer voller Gold-/Brilli-Modelle gehören heute zur Legende der Marke (und ab und an taucht so eine gelbgoldene Yacht Club I oder II mit Brilli-Blatt und/oder Lünette wieder auf), damals wurden so Gehälter gesichert und der Laden wieder einen Monat am Laufen gehalten.
Vor einiger Zeit hatte ich mal eines dieser Überlebensprojekte der damaligen Zeit näher vorgestellt, die "Luzern"-Uhren von Jörg Spöring, die IWC damals halfen, die allerletzten Wochen und Monate bis zum Verkauf an VDO durchzuhalten:
Der ganze Geschichte dazu findet sich hier:
Uhren-Hauptrollen in der IWC-Geschichte - Part 2: The Good Guy...
Doch all diese Notmaßnahmen bieten einem Unternehmen natürlich keine nachhaltige Perspektive. Deshalb braucht es nach der akuten Notversorgung zwei Dinge zur Genesung: Innovationen und Kapital. Das Kapital kam durch den Verkauf an VDO im Mai 1978 - die Innovationen waren dagegen schon vorher da und hatten (was mir neu war) tatsächlich nichts mit dem Verkauf zu tun.
Wenn man den Wiederaufstieg von IWC nach der Krise betrachtet und nach dessen Gründen sucht, dürften dem geneigten IWC-Freund drei Dinge in Erinnerung geblieben sein - die alle drei ihren Ursprung bereits in der Krise hatten:
1. Das Management: Insbesondere Günter Blümlein gehörte sicherlich zu den Besten seiner Zeit. Er kam 1981 an Bord, zunächst nur als Berater (da er noch eine Wettbewerbersperre absitzen musste), später dann als Chef der IWC (und der gesamten Gruppe) bis nach dem Verkauf an Richemont. Ohne das Ausscheiden der Familieneigentümer wäre er wohl nie in Schaffhausen gelandet und die dringend benötigte Infusion von neuen Ideen wäre ausgeblieben.
2. Ewiger Kalender: In der Krise hatte IWC nicht nur viele Mitarbeiter entlassen, sondern auch alle anderen auf Kurzarbeit gesetzt. Das betraf selbst die Führungskräfte. Und so saß z.B. Kurt Klaus freitags gelangweilt im Atelier und hatte Zeit vor sich hin zu basteln. Daraus entstand 1976 die erste IWC-Kalenderkomplikation, wie sie dann in der 5450 und später u.a. in der 5503 vorgestellt wurde. Die ganze Story bis hin zum Da Vinci Chrono mit Ewigem Kalender findet sich in diesem wundervollen Interview mit Kurt Klaus:
http://www.thepurists.com/watc…s/interviews/klauskapr03/
3. Porsche Design: Absolut prägend für die Wahrnehmung von IWC in den 1980 und 90er Jahren, war die Kooperation mit Porsche Design. Über zwei Jahrzehnte wurde eine Vielzahl neuer Werkstoffe und Designs hervorgebracht, von der zierlichen Damenuhr bis hin zur "echten" Einsatzuhr der deutschen Minentaucher und Kampfschwimmer. Und auch diese Kooperation hat nach den Erkenntnissen von David Seyffer ihren Ursprung in der Krise - und das war mir neu:
Als Teil der kurzfristigen Überlebensstrategie hatte IWC im Prinzip jeden Auftrag angenommen, der irgendwie zum vorhandenen Maschinen- und Personalbestand passte, insbesondere im Bereich Feinmechanik. Zwei solcher Aufträge sollten sich im Nachhinein als schicksalshaft herausstellen: IWC hatte als Zulieferer für ein Unternehmen in der Augenoptik erste Erfahrungen mit dem Werkstoff Titan gewonnen. Das hatte sich zu F.A. Porsche herumgesprochen, der damals über die bestehende Kooperation mit Orfina hinaus Ideen für eine neuartige Uhrenkollektion mit Titangehäusen hatte. Erste Gespräche begannen bereits im Juni 1976 - also deutlich vor dem VDO-Einstieg und zum Höhepunkt der Unternehmenskrise. Das zog sich allerdings etwas hin und so hatte der tatsächlich erste Auftrag von Porsche Design nichts mit Uhren zu tun: IWC baute eine Serie von silbernen Modellen des Porsche 911 im Maßstab 1:43 .
Das haben sie offenbar so gut hinbekommen, dass dann im Oktober 1977 schließlich der Lizenzvertrag mit Porsche Design abgeschlossen werden konnte. Das erste gemeinsame Projekt stand auch bereits fest: Die Kompassuhr - die gleich zwei Innovationen verbinden sollte, nämlich die Integration eines Kompass in eine Armbanduhr und die Verwendung von Titan für Band und Gehäuse.
Daraus resultierte eine strategische Entscheidung, die in Kernbereichen die Weichen für Jahrzehnte stellten und bis in die aktuellen IWC-Kollektionen reichen. IWC hatte nämlich damals gleich drei Probleme:
A. Es war kein Uhrwerk vorhanden, das von den Maßen und amagnetischen Eigenschaften geeignet war.
B. IWC hatte keine Kompetenz im Gehäusebau, schon gar nicht mit Titan.
C. Es war kein Geld da, um A. und/oder B. zu ändern...
Entsprechend problematisch war die Umsetzung der Kompassuhr: Kenner haben bereits bemerkt -Gehäuse und Band der ersten Kompassuhr Ref. 3510 sind gar nicht aus Titan .
Das hat den schlichten Grund, dass keiner der Zulieferer ein solches Risiko auf sich nehmen wollte. Und so wurden die Teile Mitte 1978 ersatzweise aus eloxiertem Aluminium gefertigt, die Gehäuse übrigens von Piquerez (EPSA), die Vintage-Freunden z.B. durch die Brevet-Super-Compressor-Gehäuse (die u.a. auch für die erste Aquatimer Ref. 812 verwendet wurden) wohl bekannt sind.
Die Herausforderungen auf Seiten des Uhrwerks konnten dagegen gelöst werden: ETA war bereit, eine Spezial-Version des Kal. 2892A2 zu liefern, mit besonders amagnetischen Eigenschaften (z.B. Vergoldung der Brücken, Wolfram-Messing-Legierung als Schwungmasse, Berylliumkupfer für die Datumsscheibe etc.).
Trotz des Flops bei Gehäuse und Band gingen die ersten Kompassuhren Ende des Jahres 1978 an die Händler - und zwar nicht nur IWC-Konzis, sondern auch die eigenen Porsche Design-Vertriebspartner.
Nüchtern betrachtet muss die Ref. 3510 aus IWC-Sicht jedoch ziemlich bitter gewesen sein: Das Design stammte von PD, das Werk stammte von ETA und das Gehäuse von EPSA - was war da noch IWC? Neben dem emotionalen Aspekt spielte dabei insbesondere die Wertschöpfungstiefe eine Rolle und die Nichtersetzbarkeit: Denn ohne eine besondere Kompetenz wäre IWC beliebig austauschbar gewesen.
In dieser Situation wurde die Entscheidung getroffen, innerhalb des Unternehmens eine Fertigung von Gehäusen und Bändern aufzubauen und vor allem einen Fokus auf besondere Materialien und Formen zu legen. Aus der damaligen Sicht macht das mehr als Sinn: Die Zukunft bei den mechanischen Uhrwerken war völlig unklar, für eigene Quarzwerke war IWC viel zu klein. Zudem stand mit der ETA ein ziemlich williger Zulieferer bereit, der ja auch bei der Kompass-Uhr im doppelten Wortsinne geliefert hatte. Bei den Gehäusen gab es dagegen die gesuchte Nische - und einen hinreichend große wie sicheren Anteil an der Wertschöpfung, egal ob Quarz oder Mechanik. Der erste echte Erfolg der Partnerschaft, der Titan-Chrono Ref. 3700, lieferte den handfesten Beleg für die Richtigkeit dieser Strategie...
Diese Entscheidung zieht sich bis heute durch: Nur wenige Uhrenhersteller hatten oder haben eine solche Kompetenz in diesem Bereich, selbst ganz große Marken wie z.B. ALS beziehen die Gehäuse von Zulieferern. Und IWC Bänder und Gehäuse gehören ohne Zweifel zu den Stärken des Unternehmens im Wettbewerb. Bis heute hat man auch keine Berührungsängste mit der ETA - wenn das die ökonomisch sinnvollste Lösung ist, wird es gemacht. Wie damals - und nur wenige Marken dürften auf eine so langjährige und enge Partnerschaft zurückblicken können.
All das geht zurück auf die Kompassuhr Ref. 3510 - und wie der Zufall will , konnte ich vor einiger Zeit gleich drei Lücken in meiner Sammlung schließen: Kollektion: Porsche Design, Material: Aluminium und Komplikation: Kompass - durch eine komplette Ref. 3510 aus erster Hand. Die Uhr stammt noch aus der allerersten Serie und wurde im August 1979 in Südwesten verkauft
Wenn man den damaligen Katalog durchschaut, ein absoluter Solitär in der IWC-Kollektion.
http://www.iwcforum.com/Catalogs/1979/start.html
Und vermutlich konnte damals auch noch niemand ahnen, was für eine Erfolgsgeschichte mit dieser ziemlich individuell gestalteten Uhr beginnen sollte...
Diese Geschichte macht keinen Sinn ohne Bilder, bitte schön :
Soweit der zweite Exkurs in die IWC-Geschichte
Gruß,
Christian