Rezepte gegen Grippe
Beim ersten Herannahen der Grippe, erkennbar an leichtem Kribbeln in der
Nase, ziehen in den Füßen, Hüsteln, Geldmangel und der Abneigung,
morgens ins Geschäft zu gehen, gurgele man mit etwas gestoßenem Koks
sowie einem halben Tropfen Jod. Darauf pflegt dann die Grippe einzusetzen.
Die Grippe - auch <spanische Grippe>, Influenza, Erkältung (lateinisch:
Schnuppen) genannt - wird durch nervöse Bakterien verbreitet, die
ihrerseits erkältet sind: die sogenannten Infusionstierchen. Die Grippe ist
manchmal von Fieber begleitet, das mit 128° Fahrenheit einsetzt; an festen
Börsentagen ist es etwas schwächer, an schwachen fester. Man steckt sich
am vorteilhaftesten an, indem man als männlicher Grippekranker eine Frau
, als weibliche Grippekranke einen Mann küßt - über das Geschlecht befrage
man seinen Hausarzt. Die Ansteckung kann auch erfolgen, indem man sich
in ein Hustenhaus (sog. <Theater>) begibt; man vermeide es aber, sich
beim Husten die Hand vor den Mund zu halten, weil dies nicht gesund für
die Bazillen ist. Die Grippe steckt nicht an, sondern ist eine
Infektionskrankheit.
Sehr gut haben meinem Mann ja immer die kalten Packungen getan;
wirmachen das so, dass wir einen heißen Griesbrei kochen, diesen in ein
Leinentuch packen, ihn aufessen und dem Kranken dann etwas Kognak
geben - innerhalb zwei Stunden ist der Kranke hellblau, nach einer
weiteren Stunde dunkelblau. Statt Kognak kann auch Möbelspiritus
verabreicht werden.
Fleisch, Gemüse, SuppeButter, Brot, Obst, Kompott und Nachspeise sind
während der Grippe tunlichst zu vermeiden - Homöopathen lecken am
besten täglich je dreimal eine Fünf-Pfennig-Marke, bei hohem Fieber eine
Zehn-Pfennig-Marke.
Bei Grippe muss unter allen Umständen das Bett gehütet werden - es
braucht nicht das eigene zu sein.Während der Schüttelfröste trage man
wollene Strümpfe, diese am besten um den Hals; damit die Beine
unterdessen nicht unbedeckt bleiben, bekleide man sie mit je einem
Stehumlegekragen. Die Hauptsache bei der Behandlung ist Wärme: also ein
römisches Konkordats-Bad. Bei der Rückfahrt stelle man sich auf eine
Omnibus-Plattform, schließe aber allen Mitfahrenden den Mund, damit es
nicht zieht.
Die Schulmedizin versagt vor der Grippe gänzlich. Es ist also sehr gut, sich
ein siderisches Pendel über den Bauch zu hängen: schwingt es nach von
rechts nach links, handelt es sich um Influenza, schwingt es aber von links
nach rechts, so ist eine Erkältung im Anzuge. Darauf ziehe man den Anzug
ausund begebe sich in die Bahandlung Weißenbergs. Der von ihm
verornete weiße Käse muss unmittelbar auf die Grippe geschmiert werden;
ihn unter das Bett zu kleben, zeugt von medizinischer Unkenntnis sowie
Herzensroheit.
Keinesfalls vertraue man dieses geheimnisvolle Leiden einem sogenannten
<Arzt> an; man frage vielmehr im Grippefall Frau Meyer. Frau Meyer weiß
immer etwas gegen diese Krankheit. Bricht in einem Bekanntenkrei die
Grippe aus, so genügt es, wenn sich ein Mitglied des Kreises in
Behandlung begibt - die anderen machen dann alles mit was der Arzt
verordnet. An hauptsächlichen Mitteln kommen in Betracht:
Kamillentee. Fliedertee. Magnolientee. Gummibaumtee. Kakteentee. Diese
Mittel stammen noch aus Großmutters Tagen und helfen in keiner Weise
glänzend. Unsere moderne Zeit hat andere Mittel, der chemischen
Industrie aufzuhelfen. An Grippemitteln seien genannt: Aspirol. Pyramidin.
Bysopeptan. Ohrolax. Primadonna. Bellapholisiin.
Aethyl-Phenil-Parapherinan-Dynamit-Acethylen-Koolomban-Piporol. Bei
letzterem Mittel genügt es schon, den Namen mehrere Male schnell
hintereinander auszusprechen. Man nehme alle diese Mittel sofort, wenn sie
aufkommen - solange sie noch helfen, und zwar in alphabetischer
Reihenfolge, chist ein Buchstabe. Doppelkohlensaures Natron ist auch
gesund.
Besonders bewährt haben sich nach der Behandlung die sogenannten
prophylaktischen Spritzen (lac, griechisch; soviel wie <Miclh> oder <See>).
Diese Spritzen heilen am besten Grippen, die bereits vorbei sind - diese
aber immer.
Amerikaner pflegen sich bei Grippe Umschläge mit jeißem Schwedenpunsch
zu machen; Italiener halten den rechten Arm längere Zeit in getreckter
Richtung in die Höhe, Franzosen ignorieren die Grippe so, wie sie den
Winter ignorieren, und die Wiener machen ein Feuilletonaus dem jeweiligen
Krankheitsfall. Wir Deutschen aber behandeln die Sache methodisch:
Wir legen uns erst ins Bett, bekommen dann die Grippe und stehen nur auf
, wenn wir wirklich hohes Fieber haben: dann müssen wir dringend in die
Stadt, um etwas zu erledigen. Ein Telefon am Bett von weiblichen
Patienten zieht den Krankheitsverlauf in die Länge.
Die Grippe wurde im Jahr 1725 von dem englischen Pfarrer Jonathan Grips
erfunden; wissenschaftlich heilbar ist sie seit dem Jahre 1724.
Die glücklich erfolgte Heilung erkennt man an Kopfschmerzen, husten,
Ziehen in den Füßen und einem leichten Kribbeln in der Nase. Diese
Anzeichen gehören aber nicht, wie der Laie meint, der alten Grippe an -
sondern einer neuen. Die Dauer einer gewöhnlichen Hausgrippe ist bei
ärztlicher Bahandlung drei Woche, ohne ärztliche Behandlung 21 Tage. Bei
Männern tritt noch die sog. <Wehleidigkeit> hinzu; mit diesem Aufwand an
Getue kriegen Frauen Kinder.
Das Hausmittel Cäsars gegen die Grippe war Lorbeerkranz-Suppe; das
Palastmittel Vanderbilts ist Platinbouillon mit weichgekochten Perlen.
Und so fasse ich denn meine Ausführungen in die Worte des bekannten
Grippologen Dr. Dr. Dr. Ovaritius, zusammen:
Die Grippe ist keine Krankheit - sie ist ein Zustand -!
Kurt Tucholsky, 1931