Wer eine IWC trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.
Die IWC Aquatimer Automatic:
„Was zum Henker haben die denn gesoffen?!“ so oder so ähnlich waren meine Gedanken, als ich 2014 nach längerer Uhren-Abstinenz – zwischenzeitlich hatte sich mein Interesse in Richtung vierrädriges amerikanisches Alteisen verlagert – bei Wempe in Köln die letzte Reinkarnation der IWC Aquatimer im Schaufenster liegen sah.
Da hatten die Schaffhauser doch 1998 mit der Aquatimer GST die mit weitem Abstand schönste Taucheruhr der Welt auf den Markt gebracht und jetzt liegt stattdessen Quasimodo in den Auslagen? Spinnen die Schweizer? Gab es einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum? Bin ich in einer Parallelwelt gelandet? Dieses unförmige Ding kann doch nicht deren Ernst sein!
Die große Krone rechts bei der Drei ist ja okay und ein Kronenschutz ist ohnehin überbewertet, aber was zur Hölle soll denn diese plumpe Beule auf der linken Gehäuseseite?
… und dann will das Bergvolk auch noch richtig viel Kohle für das häßliche Biest! Geht's noch?
Aber ohne mich, dieses schreckliche Teil wird niemals mein Handgelenk verunstalten…
Fünf Jahre später:
Nach verschiedenen Experimenten mit Uhren von TAG Heuer, Oris, Longines, Sinn, Tudor, Omega und anderen Marken wird es Zeit, das Hobby und die „Sammlung“ in ernsthaftere Bahnen zu lenken. Warum sollte ich also nicht mal nach den Uhren schauen, von denen ich zu Beginn meiner Uhren-Leidenschaft geträumt habe, die aber damals weit über meinen Möglichkeiten lagen. Die IWC Aquatimer GST war eine dieser Traum-Uhren und 2019 zogen die Preise für die Uhr zwar schon deutlich an, man konnte sie aber mit ein wenig Glück noch zu vertretbaren Preisen bekommen – also: Her mit dem Ding!
Bei der Beschäftigung mit der Aquatimer und deren Historie stieß ich zwangsläufig wieder auf die 3290, die merkwürdigerweise gar nicht mehr so häßlich war und deren ungewöhnliche und durchdachte Technik sie noch attraktiver machte und so stand bald fest, dass das Ding irgendwann meine kleine Sammlung bereichern würde.
Bis es dann endlich soweit war, sollten aber noch weitere drei Jahre vergehen. Vorher erfüllte ich mir mit der Porsche Design by IWC Ocean 2000 und der Blancpain Fifty Fathoms Concept 2000 zwei weitere alte Träume und auch ein paar exotischere Taucheruhren von Eterna, Clerc und Vulcain fanden ihren Weg zu mir und letztendlich vor ein paar Wochen dann auch die letzte Reinkarnation der Aquatimer.
Die Uhr:
Die IWC Aquatimer Automatic fällt in der Riege der Luxus-Taucheruhren durch ihr ungewöhnliches und eigenständiges, allerdings auch polarisierendes Styling aus dem Rahmen. Während bei Rolex und Omega das seit Jahrzehnten bekannte Design mit nur moderaten Änderungen fortgeführt wird, greift Blancpain nach den mutigen Designs der Trilogy und der Concept 2000 in die „Retro-Kiste“ und lässt die Fifty Fathoms aussehen wie eine vergrößerte Version der ersten modernen Taucheruhr der Welt von 1953.
In Schaffhausen ist man mutiger. Das Design der Aquatimer unterscheidet sich wieder einmal radikal von dem ihrer Vorgänger, das „Safedive“ genannte System der von außen durch einen Drehring betätigten innenliegenden Tauchzeit-Skala wird dem Ruf der IWC als Ingenieur-Marke mehr als gerecht – zum ersten Mal ist es möglich, die Tauchzeitskala ohne umzugreifen um 360° zu drehen. Ermöglicht wird das durch eine Art Ratschengetriebe, das sich unter der „Beule“ im Gehäuse bei 9:00 Uhr verbirgt, die Uneingeweihte häufig für ein Heliumventil halten. Auch das von der Vorgängerversion weiterentwickelte Schnellwechselsystem für das Armband – welches, nebenbei erwähnt, in Qualität und Komfort zur absoluten Referenzklasse gehört – sucht in dieser Uhren-Klasse seinesgleichen.
Das Safe Dive System:
Das Prinzip einer über einen außenliegenden Drehring einstellbaren Tauchskala, die unter dem Glas liegt und somit bestens geschützt ist, war bei der Einführung der 3290 im Jahr 2014 nicht neu. Schon zwölf Jahre vor dem Erscheinen der Aquatimer hatte Eterna die KonTiki Sports Limited Edition lanciert, deren Tauchskala unter dem Glas lag und mittels eines außenliegenden Drehringes eingestellt werden konnte.
Eterna hatte aber massive Schwierigkeiten, die Uhren, bei denen die Lünette, das Glas und die innenliegende Tauchskala eine Einheit bildeten, wasserdicht zu bekommen.
Die IWC beschritt hier einen anderen Weg, hier sind Drehring, Glas und Tauchzeitskala entkoppelt und es kommt ein Getriebe zum Einsatz, das eine Rutschkupplung enthält, die es wiederum erlaubt den außenliegenden Drehring in beide Richtungen drehen zu können, während die innenliegende Skala nur bei Drehungen im Gegen-Uhrzeigersinn mitgenommen wird. Neben dem bereits erwähnten Vorteil, dass die Tauchzeit so sehr schnell und ohne Umgreifen eingestellt werden kann, liegt ein weiterer Vorteil darin, dass sich das Glas der Uhr nicht mitdreht und die Uhr so einfacher wasserdicht zu bekommen und zu halten ist.
Die Spezifikationen:
Gehäuse:
Material: satinierter und polierter Edelstahl
Glas: bombiertes Saphirglas, beidseitig entspiegelt
Gehäuseboden: verschraubter und gravierter Gehäuseboden
Abmessungen: Gehäusedurchmesser: 42.00 mm, Lünettendurchmesser: 44.00 mm, Höhe: 14.10 mm, Länge (über die Hörner gemessen): 52.00 mm
Bandanstoßbreite: 22.00 mm
Gewicht: ca. 210 g
Wasserdichtigkeit: wasserdicht bis zu einem Druck von 30 bar (300 m)
Eigenschaften: außen liegende beidseitig drehbare Taucherlünette mit 60 Klicks, die über ein bei 9 Uhr im Gehäuse liegendes Getriebe die unter dem Glas liegende Tauchzeitskala nur bei Drehungen im Gegen-Uhrzeigersinn verstellt, mit „Probus Scafusia“ signierte Krone bei 3 Uhr, innen verschraubt, 6,6 mm Durchmesser, 3 Dichtungen, separater Kronentubus aus Stahl
Zifferblatt und Zeiger:
Farbe: mattschwarzes Zifferblatt, rhodinierte und polierte Zeiger
Stundenskala: aufgesetzte Indices, rhodiniert und poliert und mit Grün und Blau leuchtendem Swiss Super-LumiNova® belegt, aufgedruckte Minuterie
Datumsanzeige bei 3 Uhr
Zeiger: rhodinierte und polierte Zeiger, mit mit Grün und Blau leuchtendem Swiss Super-LumiNova® belegt
Uhrwerk und Funktionen:
Kaliber: vernickeltes Automatik-Kaliber 30120 (basierend auf ETA 2892-A2), 28.800 A/h, Zentralsekunde, Datumsscheibe schwarz mit weißer Schrift, 21 Lagersteine, Glucydur-Unruh, Nivarox-Spirale, stoßgesichert und antimagnetisch, perliert und mit Genfer Streifenschliff verziert, 163 Einzelteile, Rotor aus Wolfram, Sekundenstopp, Handaufzugsmöglichkeit, Datumschnellschaltung
Gangreserve: ca. 42 Stunden
Funktion: Stunden, Minuten, Sekunden und Datum
Armband:
Material: satinierter Edelstahl
Farbe: Silber
Schließe: signierte Sicherheitsfaltschließe aus Edelstahl, Tastenverschluß, keine Taucherverlängerung
Besonderheit: proprietäres IWC-Metallbandsystem mit Schnellwechsel-System und Sicherheitstastenverschluß, durchgängig 22 mm breit
Listenpreis (2016):
6.250,00 Euro
Fazit:
Die IWC Aquatimer Automatic ist ein hervorragende Uhr und wird in den Foren und von den YouTube und Instagram Influencern zu Unrecht geächtet.
Die Verarbeitungsqualität von Uhr und Armband ist über jeden Zweifel erhaben, das Stahl-Armband ist, wie schon erwähnt, Referenzklasse. Die technischen Besonderheiten wie das Safedive System der Lünette und das Schnellwechselsystem des Bandes sind gut durchdacht und sinnvoll, der Verzicht auf einen Kronenschutz der Tradition geschuldet und aufgrund der Kronen und Tubus-Konstruktion ohnehin überflüssig und die fehlende Feinverstellung an der Schließe ist verzeihlich. Die ewige Kritik an den ETA oder Sellita basierten Uhrwerken ist unbegründet, denn die Werke sind ausgereift und zuverlässig und haben, da sie nach IWC Vorgaben modifiziert werden, tatsächlich nur wenig mit den Uhrwerken zu tun, die ETA oder Sellita an andere Anbieter liefert. Wer sich dennoch daran stört, findet mit der Referenz 3288 IWC Aquatimer mit Inhouse Uhrwerken.
Auch mit dieser Aquatimer wird die IWC ihrem Ruf als innovative Marke für Ingenieure gerecht, alles an der Uhr ist durchdacht und funktionell. Armband, Lünette, Schnellwechselsystem und auch die zwei Farben der Leuchtmasse, mit denen die für den Tauchgang wichtigen Anzeigen und Zeiger (Grün) von den dabei weniger wichtigen Anzeigen und Zeiger (Blau) getrennt werden, wurden sinnvoll entwickelt. Zudem ist die IWC auch noch ein Allrounder, denn trotz der im Vergleich zu den Uhren der Mitbewerber sehr technischen Anmutung passt die Aquatimer auch gut zum Anzug beim Besuch der Oper.
Post Scriptum:
Zur Ehrenrettung der Eterna SA soll noch erwähnt werden, dass sie die Probleme mit der Wasserdichtigkeit bei der bis 200 Meter wasserdichten KonTiki Sports Limited Edition in den Griff bekommen konnten und 2005 auf der Baselworld die KonTiki Diver 1000M vorstellten, deren Taucherdrehring nach dem gleichen Prinzip funktionierte, die aber jetzt bis 100 bar (1000 m) druckfest war.
Quellenhinweise:
International Watch Co. „Die Uhren von IWC 2016/17“ und „Historical Selection – Engineering Time Since 1868“ | IWC.com | Chronos „Meilensteine: IWC“ | Chronos Heft 5 / 2014
Bildquellen: Bild 1 und 3: International Watch Co. | Bild 2: Eterna SA | Bild 4 bis 20: own work