Der Pellaton Aufzugsmechanismus der IWC

  • Hallo liebes Forum,




    nachdem wir ja in den letzten Tagen hier im Forum eher trockene Beiträge zum Thema "Uhrenmarkt" etc. behandelt
    haben möchte ich heute endlich mal wieder an´s "Eingemachte" gehen und etwas über die faszinierende Technik schreiben,
    die in unseren IWC Uhren "tickt" und die den Meisten hier im Detail gar nicht bekannt ist.


    Heute möchte etwas ich über den Pellaton-Aufzugsmechanismus schreiben, der ein Paradebeispiel für die technische Kompetenz der IWC ist!


    Albert Pellaton war von 1944 bis 1966 Technischer Direktor der IWC und beeinflußte die Entwicklung der IWC bis in die heutige Zeit hinein.
    Er war es auch, der 1957 Kurt Klaus von der Uhrmacherschule in Solothurn zur IWC holte. Jenen Mann, der so bedeutende Entwicklungen wie den
    Mechanismus des Ewigen Kalenders (bis heute im Programm z.B. in der neuen Da Vinci "Kurt Klaus Edition") oder das Kaliber 5000 mitsamt dem
    Pellaton Aufzugsmechanismus hervorgebracht hat. Auch die aktuellen Kaliber der 80XXXer und 89XXXer Serie tragen deutlich die
    Handschrift von Kurt Klaus. Wer mal in Schaffhausen zu Besuch bei der IWC ist, der kann mit etwas Glück Kurt Klaus noch heute treffen.
    Seine Erfahrungen sind für die IWC von unschätzbarem Wert und er hat viel von Albert Pellaton gelernt.


    Doch zurück zum Thema: Albert Pellaton und seinem Aufzugsmechanismus.


    1946 meldete Pellaton seinen Mechanismus zum Patent an und im Jahr 1950 war der serienreife Mechanismus fertig. Albert Pellaton steht für so
    bedeutende Entwicklungen des Hauses IWC wie für das Kaliber 89 (bekannt u.a. aus der Mark XI, produziert bis in die 80er Jahre), für die Kaliberfamilie 85,
    die z.B. ab 1955 auch in der Ingenieur verbaut wurde. Die Werke der Kaliberfamilie 85 verfügten schon über den ausgeklügelten Pellaton Mechanismus.


    Dieser Mechanismus erlebte seine Wiedergeburt im Jahr 2000 mit der Lancierung des ersten neuen und hauseigenen Kalibers, des Kalibers 5000
    in der Portugieser Automatic. Mittlerweile ist der Pellaton Aufzug das Markenzeichen der IWC eigenen Kaliber, so z.B. des Kal. 80XXX der Ingenieur-
    Modelle und des Kal. 89360 aus den neuen hauseigenen Chronografen.


    Doch nun genug der Vorrede! Und hier nun der Versuch einer verständlichen Erklärung der Funktionsweise des Mechanismus:
    Bereits in den 50er Jahren konnte man in den IWC Katalogen Erläuterungen zum Pellatonaufzug finden:



    Und diese Erfindung Albert Pellatons war so genial, dass auch andere namhafte Hersteller wie z.B. Patek
    Philippe diesen Mechanismus übernahmen, wie Ihr in den folgenden zwei Abbildungen sehen könnt:





    (Quelle: watchprosite.com)


    Und hier eine Abbildung eines IWC Kalibers 8541B mit Pellaton-Aufzugsmechanismus:



    (Quelle: watchprosite.com)


    In den heutigen Publikationen der IWC findet Ihr meist diese Abbildung hier:



    (Quelle: IWC)


    Auf der Rückseite einer Portugieser Automatic habe ich Euch im nächsten Bild den Pellaton-Mechanismus markiert:



    Die IWC fertigt sehr schöne Funktionsmodelle einiger technischer Baugruppen. Anhand des Modells des Pellaton-
    Aufzugsmechanismus werde ich versuchen, Euch die Funktionsweise so einfach wie möglich darzustellen:



    Um die Funktionsweise des Mechanismus verstehen zu können empfiehlt sich die Kenntnis der Bauteile des
    Mechanismus.
    Im folgenden Bild könnt Ihr die wesentlichen Bauteile erkennen. Ich habe diese im Bild markiert und bezeichnet:



    Vom Rotor (4) ausgehend besteht der Mechanismus aus der Kurvenscheibe (3), die am Rotor befestigt ist und
    exzentrisch gelagert ist.
    Die Kurvenscheibe bewegt die Wippe über die beiden Rubinrollen (7) vom Übertragungsrad hin und von ihm weg
    (wie der Name schon sagt, sie wippt um die Drehachse (5) hin und her).
    An der Wippe sin eine kurze (1) und eine lange (2) Klinke federnd befestigt. Die Klinken drücken gegen das
    Übertragungsrad. Das Übertragungsrad dreht sich ausschließlich im Uhrzeigersinn und spannt das Federhaus
    (welches nicht dargestellt ist).


    Hier eine der Federn, die die Klinken gegen das Rad drücken:



    Aus der im folgenden Bild dargestellten Ausgangsposition (die ich willkürlich gewählt habe) lasse ich im Beispiel den Rotor
    entgegen des Uhrzeigersinns drehen. Wenn sich der Rotor anders herum drehen würde, dann würde es in der gleichen
    Art und Weise funktionieren:



    Und die Kurvenscheibe in dieser Position im Detail:



    Nun dreht sich der Rotor und drückt dabei über die Kuvenscheibe und somit die untere Rubinrolle die Wippe in Richtung Übertragungsrad:



    Und auch hier die Kurvenscheibe im Detail:



    Wenn die Wippe in diese Richtung gedrückt wird, dann wird ebenfalls die Lange Klinke über die Feder
    gegen das Übertragungsrad gedrückt und so rutscht die Klinke Zahn für Zahn am Übertragungsrad weiter.



    Und hier die entsprechende Grafik der IWC:



    (Quelle: IWC)


    Wenn sich der Rotor nun ein Stück weiter dreht, dann steht die Kurvenscheibe in der sog. Nullposition.
    In dieser Position befindet sich die Wippe in der mittleren Position zum Übertragungsrad.
    Bei der weiteren Rotation der Schwungmasse drückt die Kurvenscheibe gegen die obere Rubinrolle und somit die Wippe
    vom Übertragungsrad weg. Im Zuge dieser Bewegung wird nun die kurze Klinke gegen das Übertragungsrad gedrückt
    und wandert, wie zuvor die lange Klinke auch, Zahn für Zahn am Übertragungsrad entlang.



    Und die Kurvenscheibe etwas näher betrachtet:



    Hier die entsprechende Reaktion der kurzen Klinke:



    Und auch hier die entsprechende Grafik der IWC:



    (Quelle: IWC)


    Auf den folgenden zwei Bilder sehr Ihr die Extrempositionen der Kurvenscheibe und somit der
    Wippe in Relation zum Übertragungsrad:





    Und da (bewegte) Bilder mehr sagen als tausend Worte habe ich Euch einen kleinen Film gedreht.
    Zur besseren Übersicht habe ich mal den Rotor des Modells abgenommen. Zuerst drehe ich die Rotorachse "im Handbetrieb"
    im Uhrzeigersinn und danach entgegen dem Uhrzeigersinn.


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    Ihr könnt in dem kleinen Film gut erkennen, dass der Aufzug in beiden Drehrichtungen des Rotors arbeitet und somit wesentlich effektiver ist
    als herkömmliche, einseitig aufziehende Mechanismen. Was Ihr auch erkennen könnt ist, dass der Mechanismus relativ viele "tote" Phasen hat,
    d.h. der Aufzug nicht maximal effektiv arbeitet.


    Daher hat die IWC im Rahmen der Neukonstruktion des hauseigenen Chronografenkalibers Kal. 89360 (4 Jahre
    Entwicklungszeit, vollständige Neukonstruktion im vergleich zu den Werken des Kal. 80XXX) auch den Pellaton-
    Aufzugsmechanismus komplett überarbeitet und wesentlich effektiver als bisher gemacht.
    Das ist eine der Stärken der IWC! Dinge im detail weiter zu entwickeln, ohne groß darüber zu reden.
    Hier liegt m.E. die äusserst ausgeprägte technische Kompetenz der IWC und das sollte in jeder bedenken,
    wenn mal wieder eine mehr oder weniger emotionale Diskussion über den Begriff "Manufaktur" und die Verwendung
    von ETA-basierten Werken geführt wird!


    Das neue Kaliber wurde 2007 zuerst in der neuen Da Vinci verbaut:



    Hier mal das Kaliber 89360 mit dem markierten neuen Pellaton-Mechanismus, der jetzt "Doppelklinkenautomatik" heisst:



    Und der neue, modifizierte Aufzugsmechanismus im Detail:



    Und noch etwas mehr im Detail:



    Was sofort auffällt ist die einfachere Konstruktion mit auf den ersten Blick weniger Teilen.
    Auch die Rubinrollen der alten Ausführung sowie die Federn fehlen. Die Kurvenscheibe ist auch einer exzentrisch gelagerten
    Scheibe auf einem Rad gewichen, welches vom Rotor direkt angetrieben wird.
    Die Klinken sind nun selber als Federn ausgelegt. Und anstatt nur zweier, gleichseitig angeordneter Klinken
    gibt es jetzt je zwei Klinken (daher der Begriff "Doppelklinken") auf gegenüberliegenden Seiten des
    Übertragungsrades. Durch diese neuen Features ist der Aufzug jetzt wesentlich effizienter als der Alte.


    Ihr sehr also, wieviel Technologie im Detail stecken kann und wie wenig man davon normalerweise mitbekommt.
    Ich werde mich mit dem neuen Chrono-Kaliber in einem der nächsten Artikel noch ausführlicher beschäftigen.


    So, nun bin ich am Ende und hoffe, dass ich Euch die Funktionsweise des (alten wie auch neuen) Pellaton-Mechanismus
    wenigstens etwas näher bringen konnte!


    Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!


    Gruß!


    Sascha

  • Nun, um solche Informationen rüber zu bringen gibt es doch solche Foren wie dieses hier! Oder?
    Und ein Moderator soll ja nicht nur moderieren sondern auch etwas rüber bringen.


    Einen Ort zur Verfügung stellen, an dem Gleichgesinnte sich unterhalten können, das kann jeder Mod bzw. jedes Forum.
    Aber wichtig sind doch auch die Hintergrundinfo´s und die Details, damit man die Uhren auch verstehen und
    deren echten Wert nachvollziehen kann!
    Ich finde, das die Faszination für eine Uhr / eine Marke und der Respekt vor den Uhrmachern und Konstrukteuren
    durch so etwas erheblich steigt.
    Und ja! Es sind meist sehr einfache Konstruktionen sie sich im nachhinein als genial und haltbar erweisen.
    Ich finde ja besonders spannend, wie die IWC so einen über 50 Jahre alten Mechanismus stetig optimiert
    und weiterentwickelt! Das ist wahre Ingenieurskunst und macht eine solche Uhrenmarke aus!


    Gruß!


    Sascha

  • Klasse Beitrag, Sascha! :blume: :blume: Super erklärt, super illustriert! :gut: :gut:


    An einem Punkt möchte ich allerdings noch mal nachfragen. Du schreibst, dass der Pallaton-Aufzug "wesentlicher effektiver ist als herkömmliche, einseitig aufziehende Mechanismen". Mein Stand der Diskussion ist, dass ein zweiseitig aufziehender Mechanismus maximal etwas effektiver ist als ein einseitig aufziehender, weil die zusätzlichen Bauteile der Wippe den grössten Teil des theoretischen Vorteils wieder auffressen.


    Jetzt gehört der Pellaton-Aufzug aufgrund seiner (wohl zurecht von Dir "genial" genannten) Konstruktion nach allgemeiner Einschätzung zu den wenigen beidseitigen Varianten, bei denen diese Verluste noch vergleichsweise gering sind. Daher wäre es recht interessant, wieviel dieses "wesentlich effektiver" eigentlich ist. Gibt es dazu Zahlen? Von der IWC oder woanders her? Vielen Dank!


    Viele Grüsse
    Eisbaer

  • So, eines konnte ich schonmal rausbekommen: die neue Doppelklinkenautomatic des Kal. 89360 ist gut 30%
    effektiver als der Pellaton-Mechanismus z.B. des Kal. 80XXX.


    Um wieviel effektiver der "alte" Pellaton Aufzug gegenüber einem einseitig aufziehenden Uhrwerkes ist
    bekomme ich auch noch raus! Mit einer Gangreserve von 68 Stunden ist das neue Chronokaliber gut dabei!


    Gruß!


    Sascha

  • Servus Sascha, :wink:


    ich glaube Du bist Hellseher :gut: , diese Frage wollte ich nämlich an den Karli (Münchner) senden. :grb: Ich habe ein Magazin von IWC Geschenkt
    bekommen & darin sind die Top 10 Innovationen der IWC darin. :lupe: - Aber es ist nicht so schön beschrieben wie von Dir, danke & cool..... :blume: :blume: :blume: - :wink:

  • So, eines konnte ich schonmal rausbekommen: die neue Doppelklinkenautomatic des Kal. 89360 ist gut 30%
    effektiver als der Pellaton-Mechanismus z.B. des Kal. 80XXX.


    Hupps, Respekt! :eek: 30% effektiver als der alte Pellaton und der sollte ja schon effektiver sein als ein einseitiger Aufzug... :grb: Nicht schlecht, Herr Specht. :gut: Vielen Dank für Deine Recherche, Sascha! :blume:


    Viele Grüsse
    Eisbaer

  • Hier noch ein paar Bilder des Pellaton-Mechanismus als Ergänzung zum obigen Artikel.


    Aus einem Kaliber 80110, z.B. in der Ingenieur Automatic Ref.3227 verbaut:



    (Quelle: IWC)


    und in der Realität:




    Und hier die komplette Aufzugsbaugruppe einer Portugieser Automatic:



    (Quelle: IWC)



    Gruß!


    Sascha