Keine Helium Ventile bei Seiko Divern?

  • Hab ja inzwischen mitbekommen dass Seiko bei seinen Taucheruhren keine Helium Ventile verbaut sondern über spezielle Dichtungen eine Dichtheit erzielt die solche Ventile überflüssig machen sollen. Das ist ja eigentlich eine viel einfachere Lösung aber kann mir trotzdem jemand eventuell den technischen Aspekt dieser Dichtungen näher erklären? Haben sie ein spezielles Profil oder ein "Wundermaterial" und vor allem warum machen dass die anderen Hersteller nicht auch auf diese einfache Art sondern verbauen teilweise halt diese Ventile und somit ja eigentlich wieder eine Schwachstelle mehr im Gehäuse? :grb:

  • Da muss man vielleicht etwas weiter ausholen. Wie kommt überhaupt Helium in das Innere der Uhr? Beim sog. “Sättigungstauchen” arbeiten Taucher in größeren Tiefen und über längere Zeiträume (z. B. bei der Errichtung/Wartung von Ölborplattformen). Dabei macht man sich zunutze, dass der Organismus nach Ablauf einer gewissen Zeit unter erhöhtem Druck kein weiteres Gas mehr aufnimmt, also gesättigt ist (daher der Name), und die Dekompressionszeit nicht weiter zunimmt. Dabei beträgt allerdings bei einem einwöchigem Aufenthalt in 200 Metern Tiefe die Deko-Zeit immer noch mehr als eine Woche. Um diese Dekompressionszeit zumindest etwas geringer zu halten, arbeitet man nicht mehr in einer Sauerstoff-Stickstoff-Atmospäre, sondern mit einem Helium-Sauerstoff-Gemisch, dem sog. "Heliox". Stickstoff reagiert äußerst träge und braucht viel länger, um aus dem Köpergewebe wieder herauszudiffundieren als Helium, weil wesentlich größere Mengen Stickstoff vor allem in fetthaltigen Strukturen gelöst sind.

    Während dieser Zeit sind die Taucher in Habitaten, Taucherglocken und Dekompressionskammern untergebracht. In den Habitaten und Taucherglocken herrscht der gleiche Druck wie außen, in der Kammer wird er langsam auf Normaldruck gesenkt (entsprechend 25 bis 30 Meter Aufstiegsgeschwindigkeit am Tag). Im Habitat/Glocke atmet man Heliox, in der Kammer wird das Gemisch langsam dem sinkenden Druck angepasst (würde jetzt ein wenig zu weit führen…).


    So, und jetzt kommt endlich das Heliumventil (HRV - Helium Release Valve) bzw. die Dichtung ins Spiel. Heliumatome sind sehr klein, wesentlich kleiner als Sauerstoff- oder Stickstoffatome. Dadurch haben sie die unangenehme Angewohnheit, an den Dichtungen der Uhr vorbei in deren Inneres zu gelangen. Da der Taucher längere Zeit unter hohem Druck arbeitet, baut sich in der Uhr ebenfalls ein höherer Druck auf. Nun gibt es die Mär, dass dieser Druck sich beim Auftauchen nicht schnell genug wieder abbauen kann und die Uhr explodieren lassen würde, zumindest aber das Glas absprengen könnte. Angeblich soll dies in den Anfängen des Sättigungstauchens auch vorgekommen sein. Das HRV soll den erhöhten Druck gefahrlos entweichen lassen und die Uhr damit vor Schaden bewahren.


    Erfunden wurde das automatische HRV übrigens von Rolex und Doxa, wobei die Doxa Conquistador sogar etwas früher als die Rolex Sea Dweller und damit als erste Uhr mit automatischem HRV auf dem Markt war. Vorher haben Taucher einfach während der Dekompression die Krone Ihrer Uhr gelöst, wodurch der Druck ebenfalls entweichen konnte. Böse Zungen behaupten gar, Heliumventile seien komplett überflüssig, da die Auftauch- bzw. Dekompressionszeiten so lang seien (s. o.), dass das Helium ausreichend Zeit habe, auch ohne Öffnung aus der Uhr zu diffundieren. Auf jeden Fall ist ein solches Ventil für den Nomaltaucher mehr als flüssig, nämlich überflüssig und stellt lediglich ein zusätzliches Undichtigkeitsrisiko und einen weiteren Rechnungsposten bei einer Revision dar. Aber es lässt sich herrlich darüber schwafeln (wie man sieht), und damit ist es zumindest kommunikationsfördernd. Das wird auch der Hauptgrund sein, warum immer mehr Hersteller diese Dinger in ihre Uhren basteln. Es wirkt so herrlich professionell, obwohl es für 99,999 Prozent aller Taucher völliger Nonsens ist. Und selbst beim kleinen Rest der echten Saturationstaucher ist das Teil eher Dekoration als Notwendigkeit.


    Seiko hatte von Anfang an einen anderen Ansatz. Sie wollten verhindern, dass Helium überhaupt erst in größeren Mengen in die Uhr eindringen kann. Dazu bedient sich Seiko seit ewigen Zeiten bei den "Profi-Taucheruhren" eines Monocoque-Gehäuses (also eines einschaligen Gehäuses, in das das Uhrwerk von oben eingesetzt wird). Dadurch muss man schon einmal den Boden nicht extra abdichten. Die ansonsten verwendeten Dichtungen sind im Querschnitt L-förmig, wodurch das Gas einen längeren Weg zurück legen muss, um in die Uhr einzudringen. Natürlich reicht es nicht, einfach die Dichtungen L-förmig zu schneiden; die entsprechend abzudichtenden Gehäuseteile müssen auch so geformt sein, dass die Dichtung passt und dadurch eben dieser lange Weg für das Helium entsteht. Wenn jetzt der Sättigungstaucher seinen Einsatz beginnt, haben es die Heliumatome wesentlich schwerer, in das Uhrengehäuse einzudringen. Der Druck, der sich über ein bis zwei Wochen in der Uhr aufbauen kann, ist wesentlich kleiner, als bei "normal" konstruierten Taucheruhren. Und bei der sehr langen Deko-Phase (s. o.) hat dieser geringe Überdruck Zeit genug, zu entweichen.



    ´Tschuldigung, ist ein wenig lang geworden :gaehn: .




  • Boaaaahh :verneig:




    Ich bin platt :jump:






    Super Erklärung! Ganz vielen Dank für Deine Mühe :gut:




    Jetzt verstehe ich auch endlich, wieso ich mir das Werk meiner Tauchermine nicht anschauen kann: Is´n Monocoque :lupe: ... und die Zeiger erschienen mir schon immer als der einzige Weg, in´s Innere zu kommen - und das habe ich mich (noch :bgdev: ) nicht getraut :lol: .... aber wenn es keinen anderen Weg gibt :grb:








    Lieber Andreas, Dein Beitrag war das dieswöchige Lounge-Highlight :blume:




    Viele Grüße,




    Petra

  • Das war ja mal ein echt amtlicher Vortrag. Danke für die Info. :gut:


    Grüße Stephan

    Die Welt ist im Wandel...!
    Eine Uhr, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden...


    Wer einen Schreibfehler findet, darf ihn behalten!!! :pistolero:

  • :wink: servus Andreas :wink:


    Meinen uneingeschränkten :respekt: für deinen Beitrag :verneig:


    Endlich wieder mal ein Beitrag der Hand und Fuß hat, sowie fundiertes Wissen beinhaltet und vermittelt :gut: :gut: :gut:


    Auch der Link von Tux bestätigt dieses und verdient in jedem Falle Beachtung und meinen Dank dafür :respekt:


    Grüße, Ralph

  • whow!


    :verneig::blume::respekt:



    wieder einmal ein wertvoller und überaus interessanter beitrag von dir. danke dafür.


    interessant, dass natürlich so ziemlich jeder hersteller auf diesen marketingzug aufgesprungen ist. der tatsächliche nutzen dürfte denen ja ebenso bekannt sein, wie uns jetzt auch.


    interessant auch, dass seiko sich dagegen entschieden hat, obwohl es sich in jeder ausstattungliste einer uhr doch bestimmt toll liest...

  • sagen wir mal so: wenn sich dieUr noch beim Taucher befindet und das Heliumventil benötigt wird, hat der Taucher in der Regel gerade ganz andere Probleme....

    Gruß Stefan :insoman:


    Im Knast bringt es nichts mit dem Rücken zur Wand zu liegen, wenn man mit offenem Mund schläft :bgdev:

  • Jungs, Petra - vielen Dank für die Blumen :verneig: :blume: , da wird man ja ganz rot. Ich tauche übrigens nicht selber, aber ein Kumpel von mir ist semi-professioneller Taucher (war als Taucher bei der Estonia-Expedition und Sicherungstaucher bei den Dreharbeiten zum Kinofilm über die Estonia-Katastophe). Da bekommt man das eine oder andere mit. Und der Rest ist angelesen und aus Discovery-Channel ;) . Meine Auszubeutenden Auszubildenden bezeichnen mich auch gerne als "ständigen Quell überflüssigen Wissens" (wobei unsere Definition von "überflüssig" durchaus verschieden sind :bgdev:) .