„The unknown Stuntman“ – Certina DS Cascadeur

  • „The unknown Stuntman“

    Certina DS Cascadeur (C541.8016.42.22)



    Die Certina SA und die „Doppelte Sicherheit“


    Certina SA

    Im Jahr 1888 gründeten die Brüder Adolf und Alfred Kurth in Grenchen im Kanton Solothurn die Fabrik Certina Kurth Frères zur Herstellung von Uhrwerken und Uhrenteilen und schon wenige Jahre später wurde die Produktion von kompletten Uhren aufgenommen. Die ersten dieser Uhren wurden unter dem Namen „Grana“ vermarktet. Der Markenname Grana wurde abgeleitet von „Granacus“, dem lateinischen Namen der Stadt Grenchen und Sitz der Kurth Freres S.A. Grenchen. Bis 1938 wurden die Uhren unter verschiedenen Markennamen hergestellt und verkauft, neben Grana auch unter dem Namen Certina. Danach wurde beschlossen, dass nur noch der Markenname „Certina“ fortgeführt werden sollte.


    Die Kurth Freres S.A. Grenchen wurde schnell erfolgreich und expandierte dementsprechend. Waren im Gründungsjahr des Unternehmen lediglich drei Techniker mit der Herstellung der Uhrwerke in einer kleinen Werkstatt, die direkt an das Wohnhaus der Familie angebaut war, betraut, so beschäftigte die Firma nach mehreren Erweiterungen 1938 schon 250 Mitarbeiter und 1955 sogar 500. Ihren Höhepunkt erreichte die Produktion 1972 als mit 900 Mitarbeitern 600.000 Uhrwerke hergestellt werden konnten.


    1983 schloss sich Certina der SMH (Schweizerische Gesellschaft für Mikroelektronik und Uhrenindustrie AG, der heutigen Swatch Group) an und wurde zu einer Sportuhrenmarke innerhalb der Gruppe.


    Doppelte Sicherheit

    1959 entwickelten die Ingenieure von Certina das DS-Prinzip. DS steht für doppelte Sicherheit (double security). Die Idee war, ein äusserst widerstandsfähiges Uhrengehäuse zu bauen, welches dem Uhrwerk auch unter extremen Belastungen sicher Schutz gewährt. Dazu wird das Uhrwerk durch einen Gummiring vom Gehäuse entkoppelt, der starke Schläge dämpft und die Kronenachse nur locker zusammengesteckt, sie kann sich so axial leicht verschieben und eventuelle Schläge vom Uhrwerk fernhalten. Die Krone wird zudem mit einer doppelten Dichtung gesichert, der es Feuchtigkeit erschwert einzudringen.


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    Was ist das denn?


    Die martialisch aussehende DS Cascadeur wurde 1995 in den Markt eingeführt und passte recht gut zur Neuausrichtung der Marke Certina als Sportuhrenhersteller.

    Das „Gitter vor dem Fenster“ und das massive Edelstahlband im Rollenketten-Design drückten eine ordentliche Portion Coolness und Unzerstörbarkeit aus und machten zusammen mit der eindeutigen Werbung sehr deutlich, wer die Zielgruppe für die „Cascadeur“ (franz. für Stuntman) sein sollte.


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    Die Ur-Cascadeur wurde nach zwei Jahren Bauzeit durch ein leicht geändertes Modell ergänzt. Die neue Cascadeur bekam ein neues Uhrwerk und ist an zwei winzigen LCD Displays bei 4:00 und 8:00 Uhr leicht zu erkennen, weitere Aktualisierungen erfuhr die Modellreihe dann 2006 und 2009, bevor die Cascadeur 2011 endgültig eingestellt wurde.


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    Warum nur?! Warum?


    Als die DS Cascadeur 1995 eingeführt wurde, konnten technisch interessierte junge Männer kaum an der Uhr vorbei kommen, denn die Uhr wurde massiv beworben. Certina war offizieller Zeitnehmer der Motorrad WM und der „ewige Zweite“ Ralf „Waldi“ Waldmann (*14. Juli 1966; †10. März 2018) war einer der Markenbotschafter. Hinzu kam, dass Sven Martinek in der von Action Concept produzierten RTL Fernsehserie „Der Clown“ ab 1996 eine Certina DS Cascadeur trug.


    Auch ich, 1995 längst kein junger Mann mehr, konnte mich der Faszination der Uhr nur schwer entziehen, denn die Cascadeur war so ganz anders als das was Mitte der 1990er Jahre sonst noch so auf dem Markt war.

    Gekauft habe ich seinerzeit allerdings keine dieser ungewöhnlichen Uhren – das änderte sich erst 27 Jahre später.


    Auch heute noch ist die Cascadeur keine Uhr für den modebewussten Herrn. Dadurch, dass sich das Ding mit dem Mainstream-Geschmack überhaupt nicht vereinbaren lässt, kommt die Uhr auch bei Uhren-Enthusiasten nicht so gut an.

    Dabei entgeht dem Uhren-Freund aber so einiges: Das ETA 251.262 verfügt über die für ein Quarzwerk ungewöhnlich hohe Anzahl von 27 Lagersteinen und auch ein Blick aufs Zifferblatt offenbart Ungewöhnliches. Oberflächlich betrachtet scheint dem Chronographen der Minutenzähler zu fehlen. Die drei Hilfszifferblätter zeigen bei 6 Uhr die Permanentsekunde, beziehungsweise zählen bei 2 Uhr die Zehntelsekunde und bei 10 Uhr bis zu 12 Stunden. Die Minuten werden beim ETA 251.262 mit einem rotlackierten Zeiger ebenso wie die Sekunden, die allerdings mit einem schwarzen Zeiger, aus der Mitte heraus gezählt.

    Auch das massive Edelstahl-Armband im Rollenkettendesign sucht in der Uhrenwelt durchaus Seinesgleichen.


    Certina lieferte die DS Cascadeur mit drei unterschiedlichen Lünetten aus. Zwei davon sind feststehend und entweder mit jeweils bei 12, 3, 6 und 9 Uhr mit blauer Farbe angebrachten Markierungsdreiecken versehen oder mit 60, 15, 30 und 45 in ebenfalls blauer Farbe an den gleichen Stellen beschriftet, die dritte und wesentlich schwerer zu findende Version ist dann die Cascadeur mit der einseitig drehbaren Taucher-Lünette.

    Für einen Sammler, der in erster Linie an Taucheruhren interessiert ist, kommt natürlich nur der Kauf einer Uhr in der letzten Variante in Frage und wie der Zufall es wollte, wurde ich in Jackson im Ocean County von New Jersey in den Vereinigten Staaten fündig.




    Die Uhr:


    Seit inzwischen drei Jahren gelingt es mir recht erfolgreich Spontankäufe zu vermeiden. Erweiterungen meiner kleinen und bescheidenen Uhren-Sammlung erfolgten nur noch nach reiflicher Überlegung und langer Prüfung, ob das Objekt der Begierde auch nach einigen Monaten meinen Puls beschleunigen konnte. Erst wenn das Ergebnis der Prüfung positiv ausfiel, dann gab ich mir das Okay für den Kauf.

    Drei Jahre lang bin ich mit diesem Vorgehen sehr gut gefahren, ich konnte teure Fehlkäufe vermeiden und meine Sammlung besteht nur aus Uhren, die bis zu meinem Ende bei mir bleiben sollen.

    … und dann kam der 28. Mai. Beim ziellosen Surfen stieß ich auf das Angebot einer NOS Certina DS Cascadeur Diver im kompletten Set zu einem recht attraktiven Preis und meine lange eingehaltenen Vorsätze – keine Spontankäufe mehr, nur noch zwei Uhren pro Jahr, keinesfalls etwas mit Quarzantrieb – flogen über Bord.

    Es folgte eine kurze Kontaktaufnahme mit dem Verkäufer und nachdem die wenigen noch offenen Fragen zu meiner Zufriedenheit geklärt waren, erfolgte die Bezahlung und die Uhr gehörte mir – bis ich sie aber in Händen halten konnte, musste ich mich noch drei Wochen gedulden.


    Oben habe ich ja bereits ein paar Besonderheiten der Cascadeur und ihres Uhrwerks erwähnt, nicht erwähnt wurde bisher aber, dass das noch nicht alles ist: Zieht man nämlich die nicht verschraubte Krone in die Position II, dann lässt sich neben dem Datum auch noch der Stundenzeiger vorwärts und rückwärts in Ein-Stunden-Schritten verstellen. Eine echte GMT Funktion ohne GMT Funktion sozusagen.


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    Die Spezifikationen:


    Gehäuse:

    Material: Edelstahl 316L, Lunette aus Edelstahl 316L

    Glas: Saphirglas, entspiegelt

    Gehäuseboden: verschraubter und gravierter Gehäuseboden

    Abmessungen: Ø 42.00 mm, Höhe: ↕︎ 13.00 mm, Länge (über die Hörner gemessen): ↔︎ 47.00 mm

    Gewicht: 150 g

    Wasserdichtigkeit: wasserdicht bis zu einem Druck von 10 bar (100 m | 330 ft)

    Eigenschaften: außenliegende, unidirektional drehbare Taucherlunette (60 Klicks) aus Edelstahl, signierte Krone bei 3:00 Uhr


    Zifferblatt und Zeiger:

    Farbe: Weiß, aufgedrucktes Logo, Datumsfenster bei 4:00 Uhr

    Stundenskala: aufgedruckte Ziffern und Indexe, aufgedruckte Minuterie und Tachymeterskala

    Zeiger: Schwarz lackierte Baton-Zeiger mit Swiss Super-LumiNova® belegt, Chronographenzeiger ebenfalls Schwarz lackiert, Minutenzeiger des Chronographen in Rot


    Uhrwerk und Funktionen:

    Kaliber: ETA 251.262 Quarz, 27 Lagersteine

    Funktion: Stunden, Minuten, Sekunden und Datum, Chronograph mit Stoppsekunde und -minute aus der Mitte, Totalisator für 1/10 Sekunde bei 2:00 Uhr, Totalisator für Stunden bei 10:00 Uhr und kleine Permanentsekunde bei 6:00 Uhr alle Totalisatoren sind mit einem polierten silberfarbenem Ring eingefasst.

    Funktionen (Chronograph): Add und Split

    Batterietyp: Renata 394, 1.55 V


    Armband:

    Material: Edelstahl, am Bandanstoß 20.00 mm, an der Schließe 19.00 mm breit

    Farbe: Silber

    Schließe: signierte Faltschließe aus Edelstahl mit Sicherungsbügel, keine Taucherverlängerung


    Listenpreis (1995):

    950,00 DM (485,73 Euro)



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    Fazit:


    Die Certina DS Cascadeur ist in allen Belangen eine ungewöhnliche Uhr mit ebenso ungewöhnlichen und unerwarteten technischen Lösungen, verpackt in einem unleugbaren ‘90er Jahre Design.

    Das Armband ist eine kleine Sensation und sehr bequem, die Rollen im Rollenketten-Design sind tatsächlich echte Rollen und die zum Kürzen des Bandes vorgesehenen Glieder sind verschraubt – in den 1990er Jahren alles andere als Standard. Die Faltschließe allerdings ist einer der typischen „Fingernagel-Killer“, aus gepresstem Blech gefertigt und ein echter Zeitzeuge, und auch die Ablesbarkeit bei Dunkelheit könnte besser sein.


    Die Certina DS Cascadeur ist trotz (igittigittigitt) seelenlosem aber 27-steinigem Quarzantrieb ein richtig coole Uhr, die trotz ihres Alters nicht altbacken wirkt, auch wenn sie aufgrund der Schutzbügel sicher polarisiert. Ob sie das Zeug zu einem echten Keeper hat oder ob ich sie irgendwann wieder abstoße, weiß allerdings ich noch nicht.


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    Quellenhinweise:

    Certina SA | „Armbanduhren – Wristwatches – Montres Bracelets“ von Christian Pfeiffer-Belli und Gisbert L. Brunner, 2006, Könemann Verlag Köln, ISBN 978-3833125591, Wikipedia

    Bildquellen: Bild 1 bis 4: Certina SA | Bild 5 bis 20: own work

    Ich glaub' von allen Tieren hat der blaue Wal, mit Sicherheit das größte Genital

    Heiko „Schotty“ Schotte

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