Winner's Curse (Part 2): IWC TU Centre Horloger Suisse Pour Invalides

    • Offizieller Beitrag

    Liebe Uhrenfreunde,


    nach dem ersten Teil meiner Auktionserfahrungen (nachzulesen hier: Winner's Curse (Part 1): JLC Polaris Mariner Memovox ) folgt nun - wie angekündigt - der nächste Teil:


    Auktionen kommen ja insbesondere dann zum Einsatz, wenn ein Los ziemlich selten ist und man den Wert nur schwer bestimmen kann. Gerade bei Einzelstücken wie Bildern oder anderen Kunstwerken vertraut man darauf, dass die Auktion bei der Preisfindung der beste Weg ist und deshalb liefert man als Verkäufer manches gutes Stück dort ein, trotz der durchaus happigen Gebühren, die man ja bei einem Privatverkauf vermeiden würde.


    Ein Auktionshaus muss also liefern - Käufer finden und Höchstpreise erzielen. Jetzt haben wir ja in der jüngeren Vergangenheit so einige ganz erstaunliche Ergebnisse von Uhrenauktionen erlebt (nicht nur die 5711-Interessenten...), berichtet wird aber natürlich nur über Zuschläge im sechs-, sieben- oder gar acht-stelligen Bereich. Die meisten von uns sitzen bei solchen Summen nur als staunende Zuschauer an der Seitenlinie und schütteln mit dem Kopf.


    Nun werden aber natürlich nicht nur Millionenobjekte versteigert, sondern es werden auch immer wieder spannende Objekte im dreistelligen Bereich oder knapp darüber angeboten. Wobei man da vorsichtig sein muss: Nicht immer haben die ausgezeichneten Schätzpreise etwas mit der Realität zu tun, da sind deutliche Abweichungen in beide Richtungen möglich. In der Tendenz versuchen Auktionshäuser zumindest das Mindestgebot eher niedrig anzusetzen, um einen tatsächlichen Verkauf wahrscheinlicher zu machen und möglichst viele Bieter anzulocken, die auf ein Schnäppchen hoffen.


    Manchmal ist es auch wirklich schwierig, eine sinnvolle Preisspanne festzulegen, weil es für manche Objekte keine Archiv- oder Marktpreise gibt. Und dann kann man durchaus ein Schnäppchen machen (zumindest aus der persönlichen Sicht des Sammlers...), wenn man der einzige Bieter ist.


    Aber in der Natur einer Auktion liegt auch: Es braucht nicht hunderte Interessenten, sondern nur zwei, um Gebote nach oben zu treiben - je nachdem, wie entschlossen die beide sind und wie tief die Taschen. Zwei Aspekte sind hier gefährlich: Da es bei Einzelstücken keine direkten alternativen Kaufoptionen gibt, gibt es auch nach oben keine Preisgrenze, bei der irgendwann doch die Ratio anspringt und man dann einfach später oder woanders zuschlagen kann. Zum anderen ist das natürlich auch ein Wettbewerb - man hat lange nach etwas gesucht, das ist eine einmalige Gelegenheit und dann will man das nicht irgendjemand anderen überlassen. Da will man dann manchmal gewinnen, allein um des Gewinnens willen.


    Vor einiger Zeit erspähte ich bei einem bekannten Auktionshaus in der Schweiz eine Taschenuhr, die ich unbedingt haben musste - eine Schuluhr mit IWC-Kaliber. Diese Uhren sind extrem selten, da sie als Abschlussarbeiten der Uhrmacher-Ausbildung meist einen hohen ideellen Wert haben und deshalb nur selten von Erben veräußert werden. Zudem sind IWC-Kaliber hier nur sporadisch verwendet worden (da eigentlich zu teuer).


    Zwei solcher Uhren hatte ich schon mal hier vorgestellt:


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    Ein unerwarteter Zufallsfund - IWC Schuluhr Kaliber 97


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    Über das Suchen, das Finden und das Sammeln - und ein Chronometer-Zertifikat


    Bei der angebotenen Uhr passte alles: Eine mir bisher unbekannte Signatur, nachvollziehbare Historie, low estimate von 200 CHF und kein Limit (d.h. als Startgebot 1 CHF). Da nirgendwo auf dem Zifferblatt IWC stand und die Marke auch nicht im Beschreibungstext erwähnt wurde, bestand eine gute Chance auf ein Schnäppchen - denn meist durchsucht man die 300-500 Lose einer Auktion nur nach Stichworten und guckt sich nicht jedes Los einzeln an. Und bei so einem Auktionshaus tummeln sich ja eher die Reichen und Schönen, die sich nicht für solche Nerd-Uhren interessieren.


    Jetzt gibt es beim Bieten verschiedene Optionen, die alle Vor- und Nachteile haben - schriftliche Vorabgebote oder die Live-Teilnahme vor Ort, am Telefon oder online. Bei solchen "kleinen" Auktionen biete ich in der Regel vorab, da sonst gerne mal die Auktionstermine verpasse und mich erst nach dem Zuschlag einlogge (was dann ärgerlich ist). Zudem dachte ich: was soll da passieren...


    Zufällig war ich bei dieser Auktion doch online live dabei und freute mich auf einen günstigen Neuzugang: Ich war das einzige Vorgebot und hatte sogar sicherheitshalber genau den high estimate geboten. Nur um aus allen Wolken zu fallen, als ein weiterer Bieter auftauchte, der das überbot :maul:


    Was macht man da? Natürlich dagegen halten. Blöderweise hatte der andere Bieter die gleiche Strategie und so schaukelte sich das schnell hoch. Meist gibt es bei solchen Auktionen keine großen Bietgefechte und es ist nach 30 Sekunden vorbei. Wenn nicht, wird es teuer - denn mit den Geboten steigen natürlich auch die gesammelten Gebühren und Steuern, was man beständig mitrechnen muss. Und dann wird in der Regel das absolute Bietinkrement größer, das liegt meist bei ca. 10% des letzten Gebotes (in festen Stufen).


    Wie ist es ausgegangen? Man ahnt es, ich habe "gewonnen" - durch den Zuschlagspreis muss man das aber in Anführungszeichen setzen, denn der lag beim Vierfachen des ausgezeichneten oberen Limits :bash: . Die absoluten Beträge bringen einen bei Taschenuhren Gott sei Dank noch nicht um, aber lange drüber nachdenken darf man trotzdem nicht... :rolleyes:


    Und worum ging es nun? Diese Uhr:






    Die sieht ja nun eher unspektakulär aus :lupe: - was das Besondere an der Uhr, folgt im nächsten Post.


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    So, wie angedroht noch eine kleine Fortsetzung zu den Hintergründen:


    In der Nachkriegszeit war die Uhrenindustrie in der Schweiz einer der wesentlichen Arbeitgeber - in der Spitze waren bis zu 100.000 Menschen direkt bei Uhrenherstellern und ihren Zulieferern beschäftigt (das ist in der Relation zur Bevölkerung mehr, als in Deutschland in der Autoindustrie).


    Gleichzeitig wuchs in den 60er Jahren langsam das Bewusstsein, dass man auch Menschen mit (körperlichen oder geistigen) Behinderungen einen Weg in den qualifizierten Arbeitsmarkt ermöglichen muss. Aus diesem Gedanken entstanden besondere Ausbildungseinrichtungen, die man in Deutschland unter dem Begriff "Berufsbildungswerke" kennt. Hier wurden im wesentlichen handwerkliche und kaufmännische Berufe ausgebildet, oft in Kombination mit einem Internatsbetrieb, um ein möglichst großes Einzugsgebiet zu ermöglichen.


    Nun lag es in der Schweiz nahe, ein solches Berufsbildungswerk mit einem Fokus auf die Uhrenindustrie zu etablieren: Eine Uhrmachertätigkeit kann auch im Sitzen ausgeführt werden und erfordert eine gewissen Fingerfertigkeit, kam als z.B. für Menschen, die an einen Rollstuhl gebunden waren, in Frage. Zudem gibt es auch Tätigkeiten, die Menschen mit geistigen Behinderungen ausführen können - z.B. einfach erlernbare, sich wiederholende Arbeitsmuster.


    Zu diesem Zweck wurde 1965 in Biel das "Centre suisse de formation professionnelle horlogère pour invalides" gegründet. Angeboten wurden hier Ausbildungen zum Uhrmacher bzw. als Hilfskraft in diesem Bereich.


    Die Finanzierung des Zentrums erfolgte aus verschiedenen Töpfen Sozialversicherungen und durch eigene Umsätze: In der Einrichtung wurden Revisionen im Auftrag der vielen ansässigen Uhrenhersteller durchgeführt.


    In den ersten Jahren war dieses Programm durchaus erfolgreich und genau aus diesen Jahren stammt diese Uhr - genauer gesagt stammt diese Uhr sehr wahrscheinlich aus dem ersten Abschlussjahrgang 1968/69.


    Die Auszubildenden zum Uhrmacher (das war allerdings nur ein kleinere Gruppe) mussten dabei als Gesellenstück eine Uhr fertig stellen. Da diese Uhren sich durch ihre Größe und Bauart besonders eignen, wurden dafür fast durchgängig Taschenuhren benutzt. Hersteller wie IWC stellten dafür Ebauches zur Verfügung, also unbearbeitete Rohwerke. Am Ende sahen diese dann so aus:



    Das ist eine echte Manufakturarbeit im Wortsinne, also alles von Hand finissiert und montiert. Und durchaus in einer Qualität, die sich vor den damals vom Werk abgelieferten Uhren nicht verstecken musste - in Details vielleicht sogar einen Tick besser.


    Diese Werke tragen keinerlei Markierungen, normalerweise wäre ja oben auf der Federhausbrücke der International Watch Co. Schriftzug und meistens ein "adjusted to 3/5 positions", dazu käme noch eine Probus Punze. Auch eine reguläre Werknummer haben diese Uhren nicht.


    Woran erkennt man dann das Alter? Es handelt sich ja hier um ein Kaliber 97 ohne Stoßsicherung. Diese Werke wurden letztmalig 1964 gebaut. Dazu kann man noch unterhalb der Unruh die schulinterne Nummer erkennen:



    Nicht die erste, aber immerhin die zweite Uhr ;) .


    Und dann hat diese Uhr noch eine Besonderheit: Obwohl auf dem Zifferblatt kein IWC-Logo ist, erkennt man das Uhrengehäuse als Ref. 169 - das war damals das einfache Taschenuhrmodell in Stahl. Bei dieser Uhr findet man das auch auf dem Innendeckel bestätigt:



    Sonst haben diese Uhren meist einen Glasdeckel, der naturgemäß keine Punzen mehr enthält. Ausgeliefert wurde das Gehäuse eben um 1968/69, als der erste Jahrgang seine Ausbildung abgeschlossen hat.


    Nach den Erfolgen der Anfangsjahre wurde groß investiert und die Einrichtung in den Jahren 1972-74 deutlich erweitert auf dann 50 Arbeits- und Ausbildungsplätze. Doch man ahnt es beim Datum schon: Das war keine gute Idee...


    Die Quarz-, Dollar- und Goldkrise schlug ab 1974 gnadenlos zu und so stand diese Einrichtung schon 1976 vor dem Abgrund:



    Die Aufträge waren dramatisch zurückgegangen und die Preis komplett eingebrochen. So fiel die Vergütung für eine revidierte Uhr von 14 CHF im Jahr 1974 auf unter 2,50 CHF in 1975 :eek: .


    Entsprechend wurde Anfang 1976 über die Schließung der Einrichtung diskutiert, wie der obige Artikel berichtet. Und so kam es dann auch - die Ausbildung und Arbeit im Uhrenbereich wurde praktisch eingestellt und in einem Kraftakt wurde auf andere Branchen umgestellt, wie z.B. Feinmechanik und Elektrotechnik.


    In diesem Zuge erfolgte auch die Umbennung in Stiftung Battenberg. Und da schließt sich dann der Kreis zu meiner ersten Schuluhr:


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    Die trägt nämlich schon den neuen Namen, muss also eine der letzten Uhren aus diesem Programm gewesen sein.


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    Das macht für mich den Reiz von Taschenuhren aus: Diese Uhren haben und erzählen eine Geschichte :opa:


    Epilog: Bekanntermaßen hat sich die Uhrenindustrie in der Schweiz inzwischen von der Quarzkrise ganz gut erholt, auch wenn das Beschäftigungsniveau vor der Krise nie mehr erreicht wurde. Entsprechend ist auch die Stiftung Battenberg wieder in diesem Bereich tätig:


    https://www.battenberg.ch/de/b…aining/berufe/uhrmacherei


    Soweit einmal ein etwas anderer Post aus den Tiefen der Uhrgeschichte - ich hoffe, es war nicht allzu schwere Kost ;)


    Gruß,

    Christian

    • Offizieller Beitrag

    Moin Christian,

    wie bekannt sein sollte mag ich Uhren mit Geschichte, und auch die Nachforschungen dazu.


    Danke für die Infos, und das Teilhaben lassen.


    Schön das sich Deine Sammlung erweitert hat, und ich weiß, das diese Uhr einen besonderen Platz einnimmt.