Mit Leidenschaft und Respekt für die eigene Historie: ein Besuch im Blancpain Vintage Atelier

  • Auf meiner Wunschliste, welche Aspekte von Blancpain ich weiter erforschen möchte, war das Vintage Atelier sehr weit oben... und nun hatte ich die Gelegenheit, das Team, welches sich um alle Blancpain Uhren von vor 1981 kümmert, zu treffen. Natürlich teile ich die Erfahrung in Form dieses Berichtes gerne mit Euch, so dass ihr einen eigenen Eindruck bekommt.


    Der Bericht erfolgt aufgrund der maximalen Bilderanzahl pro Beitrag in zwei Teilen.



    Untergebracht im Blancpain Bauernhaus in Le Brassus, umfasst das Vintage Atelier nur einen Raum mit vier Uhrmacher-Arbeitsplätzen, es hat aber natürlich Zugang zu allen Einrichtungen und Möglichkeiten des Hauses Blancpain sowie den traditionellen Zulieferern, welche in den meisten Fällen schon die original Komponenten der historischen Uhren hergestellt hatten.



    Bevor wir die Arbeiten im Atelier näher beleuchten, ist es wichtig, die Herangehensweise und Regularien, wie Blancpain mit den Schätzen der Kunden umgeht, zu verstehen.


    Das Atelier hat sich eine eigene Ethik gegeben, welche fünf Kernelemente umfasst, die bei jedem Service und jeder Restaurierung einer alten Blancpain, Harwood oder Rolls ohne Ausnahme befolgt werden. Sämtliche Arbeiten sind angemessen und sensibel auszuführen, sie haben, wenn irgend möglich, reversibel zu sein, müssen penibel dokumentiert werden und auch erkennbar bleiben sowie selbstverständlich den technischen und ästhetischen Aspekten der originalen Uhr entsprechen.



    Wie ernsthaft Blancpain den Umgang mit den Schätzen der Kunden betriebt, wird auch dadurch gekennzeichnet, dass - im Gegensatz zu manch anderem Hersteller - die Inhaberrechte des Kunden an oberster Stelle stehen. Dies kann an zwei Beispielen illustriert werden:


    Wenn der Besitzer die Radium oder Tritium Leuchtmasse auf ZB und Zeigern bewahren möchte, wird Blancpain dies selbstverständlich respektieren. Entweder werden diese Teile überhaupt nicht angefasst, oder die Leuchtmasse wird auf Wunsch des Kunden mit Hilfe eines unsichtbaren dünnen Lacks vor weiterem Zerbröckeln geschützt. Nur falls ein Kunde es wünscht, wird Radium oder Tritium durch Luminova ersetzt, dann aber in Farbe und Textur angeglichen an den vorigen Zustand.


    Hier sieht man ein ZB, bei dem das Radium nur im Umfang der ursprünglichen Indexe entfernt wurde, die umgebende Patina jedoch völlig erhalten wurde. Jetzt kann Luminova exakt passend in Form und Farbe, aber jederzeit unter speziellem Licht erkennbar, appliziert werden. Eine meines Erachtens sehr bemerkenswerte Arbeit!






    Das zweite Beispiel illustriert, wie Blancpain mit nicht komplett originalen Uhren, die zum Service eingeschickt wurden, umgeht. Wann immer eine Uhr als nicht komplett original bzw stimmig erkannt wird, bekommt der Besitzer die Uhr unberührt zurück, natürlich versehen mit einer Erläuterung, warum Blancpain den Service verweigert. Nur wenn diese Uhr danach zum Verkauf angeboten wird, fordert die Rechtsabteilung der Swatch Group die Zurücknahme des Verkaufsangebots ein.


    Das Vintage Atelier verwendet viel Zeit und Energie auf die Erweiterung der Kenntnisse und auch des schon jetzt beeindruckenden Inventars an originalen Teilen. Seit 2011 und mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet seit 2015 hat die Suche nach Wissen und Teilen sehr viel Erfolg gehabt, hinsichtlich der wenigen verbleibenden Lücken forscht das Atelier mit voller Leidenschaft permanent weiter.




    Aus diesem Grund erscheint es verständlich, dass der Prozess der Restaurierung bzw des Service mit einer ca dreimonatigen Überprüfungsphase jeder einzelnen Uhr beginnt. Das Atelier hat eine Methode entwickelt, mit der das Innere der Uhr, inklusive Werk, ohne Öffnung des Gehäuses geprüft werden kann. Diese teure und beeindruckende Methode ist noch in der Weiterentwicklung befindlich, daher kann ich sie auch nicht in Fotos zeigen. Ich habe es aber mit eigenen Augen betrachtet und war absolut begeistert.


    Mit dieser Methode kann das Atelier unstimmige Uhrwerke und innere Beschädigungen sofort entdecken, ohne jemals die Uhr geöffnet zu haben. Weitere Tests werden mit Hilfe von High Tech Instrumenten im Hinblick auf z.B. korrektes Gehäusematerial, Qualität und Stimmigkeit von ZB Aufdrucken und Gehäuse- und Uhrwerkgravuren durchgeführt, um die Authentizität jeder Uhr zu prüfen.



    Bei diesem Umfang der Prüfung verwundert es nicht, dass es eine Weile dauern kann, bevor der Kunde einen Restaurierungs- bzw Servicevorschlag erhält, der sämtliche Optionen detailliert umfasst. Die Erarbeitung des Vorschlags nimmt in der Regel ebenfalls drei Monate in Anspruch, herauszustellen ist aber, dass Überprüfung und Restaurierungsvorschlag ohne Kosten für den Kunden vorgenommen werden!


    Wenn der Kunde den Vorschlag akzeptiert hat, nimmt der Service bzw die Restaurierung weitere 6 Monate in Anspruch, so dass insgesamt ein Jahr zwischen Abgabe der Uhr und Rückerhalt vergeht.


    Die Restaurierung selbst erfolgt wann immer möglich unter Zuhilfenahme derselben Maschinen und Werkzeuge, die schon für die ehemalige Herstellung der Uhr genutzt wurden. Um dies zu ermöglichen, erwirbt Blancpain bei Gelegenheit auch authentische Werkzeuge und Maschinen, mit deren Hilfe die originalen Teile hergestellt wurden.


    Sogar das Bläuen von Zeigern und Schrauben erfolgt auf traditionelle Weise...



    Hier sieht man zwei Maschinen, die im Atelier genutzt werden: eine alte „Zeitwaage“ und einen Dreifach-Uhrenbeweger, der mit sehr hoher Geschwindigkeit sehr schnell die volle Gangreserve zu Testzwecken aufbauen kann.





    Wie also macht sich die letzte Blancpain Neuheit, meine Fifty Fathoms Ocean Commitment III, auf der alten Zeitwaage? Das Ergebnis konnte sich definitiv sehen lassen!





    Teil 2 folgt sogleich...

  • Zurück zu den im Atelier bearbeiteten Vintage Uhren: alle Arbeiten werden für den Kunden dokumentiert, mit Rückerhalt der Uhr erhält der Besitzer eine Heft mit einer Fotodokumentation, Daten zu der Uhr und deren technischen Werten.




    Hier sieht man eine beispielhafte Dokumentation







    Die Welt von alten Blancpain Uhren geht weit über die Fifty Fathoms, Bathyscaphe und Air Command aus den 1950er Jahren hinaus. Weit älter und teilweise deutlich anspruchsvoller in der sensiblen Bewahrung können die Ladybird Uhren mit dem kleinsten Automatikwerk der Welt, alte Harwood und Rolls Zeitmesser gelten. Hier einige Ladybird, die im Atelier restauriert wurden:



    Einen näheren Blick verdient diese Rolls, die zu der Blancpain eigenen Sammlung gehört. Sie wurde vor ein paar Jahren bei einer Auktion erworben und danach sehr behutsam restauriert, das Gehäuse wurde nicht poliert, die Arbeiten konzentrierten sich auf das Werk mit seinem sehr außergewöhnlichen Aufzugsmechanismus.





    Eine Überraschung für mich war diese Münzuhr, da ich bislang nicht wusste, dass auch Blancpain solche Uhren hergestellt hatte. Das Gehäuse dieser Uhr war stark beschädigt, und da man ein Münzgehäuse nur schwerlich wieder instandsetzen kann, hat sich das Atelier (erfolgreich) auf die Suche nach einer exakt gleichen Münze aus derselben Prägungsserie gemacht, um ein neues Gehäuse für die Uhr herzustellen. Dies kann man zurecht als wahre Leidenschaft bezeichnen!



    Im Durchschnitt erreichen das Atelier pro Monat 30 Uhren, davon, ebenfalls im Durchschnitt, entfallen ca 40% auf die Fifty Fathoms und deren Ableger, weitere 40% sind Ladybird Uhren, die oft neben uhrmachererischen Fähigkeiten auch Goldschmiedearbeiten erfordern.


    Ich war natürlich neugierig, wieviele der eingesandten alten und bei Vintage Sammlern sehr beliebten Taucheruhren wirklich authentisch sind. Es ist wohl keine Überraschung, das 30% aller Fifty Fathoms, Bathyscaphe und Air Command die Tests des Ateliers auf Authentizität nicht bestehen und an die Kunden zurückgeschickt werden. Dies geschieht selbstverständlich nur bei zweifelsfreier Analyse, da die Kenntnisse des Ateliers zwar sehr umfassend, aber natürlich nicht bei vollen 100% liegen. Hier noch ein paar Uhren, die im Atelier bearbeitet wurden:



    Mein persönliches Fazit aus dem Besuch ist, dass Blancpain seine horologische Geschichte und die von Sammlern eingesandten Uhren mit äußerstem Respekt und unter strikter Wahrung der auf die Kunden zugeschnittenen Grundsätze behandelt, fortwährend auf der Suche nach weiteren Informationen, um auch die letzten Lücken zu schliessen. Das Blancpain Vintage Atelier ist kein Profit Center, es ist wahre Leidenschaft, die sich von Marc Hayek is hin zu dem Team hinzieht, dass sich um die Kundenuhren so liebevoll kümmert, als wären es die eigenen. Der Atelierleiter hatte übrigens eine schöne eigene vintage Fifty Fathoms am Handgelenk...



    Ich habe während des Besuchs einige Kundenuhren sehen dürfen, von denen ich absolut begeistert war. Selbstverständlich aber habe ich diese Uhren nicht fotografiert, sie jedoch unwiderruflich in mein Gedächtnis eingebrannt


    Ich hoffe, der Bericht hat Euch gefallen. Ich bin persönlich sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, das Vintage Atelier nöher kennenzulernen - dafür ein von Herzen kommendens Merci Beaucoup nach Le Brassus!


    Grüsse


    Henrik

  • :verneig: Klasse was Blancpain hier für die Vintage Sammler und Liebhaber an Know How und Material bereitstellt. Ich war schon sehr beeindruckt als mir Herr Meyer in der Boutique mir über das Thema erzählt hatte, (ein paar Bilder gabs auch), aber jetzt mit dem Bericht zieh ich vollends meinen Hut :hut: . Einfach klasse :gut:

  • Vielen Dank für die große Mühe und den (...mal wieder...) sehr lesenswerten Bericht, Henrik! :verneig:
    Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen / lesen, wieviel Hingabe, Akribie, Geduld, Aufwand und Liebe zum Detail für so eine Restauration nötig sind. Davor ziehe ich meinen Hut. :hut:


    Übrigens: Deine Berichte sind stets eine große Bereicherung, bitte mach weiter so. Weltklasse.

  • Ich durfte mir das dieses Jahr ja auch schonmal anschauen (wir hatten ja neulich darüber gesprochen). Ich war wirklich beeindruckt wieviel Mühe sich Blancpain gibt mit der Restauration der Uhren damit nacher auch alles wieder stimmig ist.
    Da kann sich so mancher Hersteller ne Scheibe abschneiden.

  • Ein sehr gelungener Bericht. Vielen lieben Dank. :gut:
    Schön, dass es noch Marken wie Blancpain gibt, die sich um ihrer Vintage -Kunden und damit auch um die eigene Historie kümmert. :verneig:
    Rolex zum Beispiel ist da prinzipiell gnadenlos. Da bin ich froh, einen Rolex-Konzi zu haben, dessen Werkstatt nicht den Rolex-, sondern den Blancpain-Grundsätzen folgt. :saint:

  • Zitat

    Das zweite Beispiel illustriert, wie Blancpain mit nicht komplett originalen Uhren, die zum Service eingeschickt wurden, umgeht. Wann immer eine Uhr als nicht komplett original bzw stimmig erkannt wird, bekommt der Besitzer die Uhr unberührt zurück, natürlich versehen mit einer Erläuterung, warum Blancpain den Service verweigert. Nur wenn diese Uhr danach zum Verkauf angeboten wird, fordert die Rechtsabteilung der Swatch Group die Zurücknahme des Verkaufsangebots ein.



    Das möge man mir bitte erklären.
    Als nicht-gewerblicher Verkäufer darf ich sogar einen Voll-Fake verkaufen, sofern ich darauf hinweise.