Uhren-Hauptrollen in der IWC-Geschichte - Part 1: The Bad Guy...

    • Offizieller Beitrag

    Liebe IWC-Freunde,


    fast drei Monate ohne eine gescheite Neuvorstellung von mir – das gibt Anlass zur Sorge, gerade in Zeiten, wo doch der Euro stündlich im Orkus verschwinden kann… ;)


    Deshalb habe ich den verregneten Sonntag genutzt, um mal wieder ein paar Sätze zu schreiben – und weil es eine so lange Zeit war, gibt es jetzt in kurzer Folge gleich zwei Neuzugänge vorzustellen. Beides Uhren, die in der jüngeren Geschichte der IWC eine große Rolle gespielt haben, ohne dass es bisher übermäßig aufgefallen ist. Auch sind beides Uhren, mit denen die meisten nicht viel anfangen können und die eher in einer kleinen Nische angesiedelt sind - wie es für Special Editions aber auch nicht ungewöhnlich ist. Da die Story zur zweiten Uhr spannender (und meines Wissens so noch nicht bekannt ist), stelle ich die Uhren anti-chronologisch vor – zwischen beiden Modellen liegen gut 30 Jahre.


    Passt auch ganz gut - dann geht der Spannungsbogen von "Böse" zu "Gut" ;) .


    Nach diesem kleinen Epilog, zum eigentlichen Thema – fast: Ich war letztes Jahr mal wieder länger in den USA, was unter anderem den Vorteil hatte, sämtlichen Uhren-Boutiquen der New Yorker Madison Avenue (und umzu) ausführliche Besuche abstatten zu können. Am Ende einer solchen Tour verschlug es mich in eine klassische Touristen-Location, FAO Schwarz an der Fith Avenue, trotz mancher Krisen wohl immer noch der Spielzeugtempel der Stadt. Auf der Suche nach Geschenken für eigenen und fremden Nachwuchs steuerte ich die Lego-Abteilung an – die ich aus eigenen Kinderzeiten noch in verträumter Erinnerung hatte. Und machte eine ziemlich verstörende Erfahrung: In meiner Kindheit gab es bei Lego drei Produkte, Duplo (für die Kleinen), normales Lego und Lego Technic (für die Großen). Es gab keine Waffen und minimal Elektronik (eigentlich nur bei der Eisenbahn). Und es gab wenig Formteile, sondern man musste und konnte vieles aus Standard-Bausteinen zusammensetzen.


    Und heute: Jedes Regal war eine eigene Themenwelt – und was für ein *******: Dinos, Super Heros, Star Wars, Pirates of the Caribbean, Cars etc. pp. … . Völlig degenerierter Merchandising-Kram, Lizenz-Schrott ohne jede Rest-Phantasie. Playmobil-artige Teile kombiniert mit Samurai-Schwertern und Laser-Kanonen. Unfassbar… das hatte wirklich gar nichts mehr zu tun mit den unschuldigen Plastiksteinen von früher, aus denen man in regnerischen Herbsttagen Fußballstadien oder Kreuzfahrtschiffe bauen konnte. Ein kultureller Niedergang, der den alten Hasen und Billund-Pilger in mir traurig zurück lässt.


    Nach diesem Schock hatte ich dann kurz recherchiert, wie es zu diesem Elend kommen konnte. Kurz gefasst, Lego wurde durch das Computer-Zeitalter kalt erwischt, war in einer fast existenziellen Krise, änderte daraufhin radikal Produktpalette und Marketing - und steht offenbar mit diesem Hollywood-Ausschuss heute wieder gut da, vermutlich sogar besser als damals. Nun ja…


    Jetzt liegt meine Lego-Phase Jahrzehnte zurück und inzwischen hat man neues Spielzeug entdeckt – und dankenswerter Weise kommt nun nach vielen Worten der Bogen zu den Uhren. Wenn man sich die Geschichte der IWC anschaut, hat diese so manche Häutung erlebt – die in meinen Augen jüngste dieser neuen Ausrichtungen lässt sich ganz wesentlich an der Uhr festmachen, um die es hier geht. Wenn man es mal auf die Zeit der Armbanduhren beschränkt, gab es in der Kollektion von IWC drei dominierende Modelle: die Flieger, die Ingenieur und die Portugieser. Alle haben ihren Ursprung in der Zeit um den zweiten Weltkrieg, also Ende der 30er bis Anfang der 50er Jahre. Sehr ursprüngliche, gradlinige und technisch geprägte Uhrenkonzepte, die nicht ohne Grund Jahrzehnte überdauert haben. Allein bei den Fliegeruhren haben sich diverse Ikonen angesammelt – die originale Fliegeruhr mit 55mm Durchmesser und Kal. 52 S.C., die Mark 11 mit dem Kal. 89, der Doppelchronograph 3711/3713 oder
    die neue Große Fliegeruhr mit dem Kal. 5000 aus dem Jahre 2002.


    Wenn man so durch die Foren forstet (und das Internet bewahrt ja leider nur einen Teil der Stimmungen und Meinungen), dann besteht bei all den genannten Modellen beim ernsthaften Uhrenfreund Konsens: Die findet man gut, das ist echte, wahre IWC – die gute (inzwischen) alte Zeit.


    Bei der gleichen Suche fällt dagegen ein Modell auf, das vermutlich die stärkste negative Valenz in allen Foren-Postings zu IWC überhaupt hat. Und für viele den Bruch mit Traditionen und das Ende eben jener „guten alten Zeit“ markiert – und wieder ist es eine Fliegeruhr: Die IWC Fliegeruhr Doppelchronograph Edition Top Gun (Ref. 3799-01) – der Untergang abendländischer Kultur in einem Keramikgehäuse . Die Kritik ist vielfältig,

    • traditionsvergessen, da kein Bezug mehr zu den „echten“ IWC-Fliegeruhren, die ja in deutschen Bombern zum Einsatz kamen und nichts mit US-Jet-Geschwadern zu tun haben,
    • widerlich, da militaristisch und gewaltverherrlichend durch den Bezug zur US Navy,
    • unglaubwürdig, da nur mit Film-Logo und Filmnamen ohne jeden Bezug zur realen Einsatzwelt,
    • lächerlich, da mit Spielzeugfliegern an den Zeigern
    • betrügerisch, da die vorherige Keramik-Doppel-Generation (Ref. 3786) hinterrücks entwertet wird oder
    • amerikanisch, da man so jedem Übersee-Dollar hinterherläuft.

    Gab noch ein paar mehr Sachen, aber das sollten die wesentlichen gewesen sein. Die lauteste Kritik kam dabei aus der Gruppe der IWC Old Schooler, die hier Kollegen Kern als Totengräber der authentischen, technischen, teutonischen IWC sahen, dem die Historie egal und nur der aktuelle Umsatz wichtig war. Interessanterweise wurde eigentlich jede neue Modellreihe seit 2004 (weiter zurück reichen die Archive leider nicht) von Anbeginn verrissen, aber das ist ein anderes Thema.


    Gruß,
    Christian

    • Offizieller Beitrag

    Die Top Gun war rückblickend betrachtet die vielleicht entscheidende Bruchstelle zu dem kleinen, aber sehr engagierten und noch deutschsprachig dominierten Klientel aus den 80er und frühen 90er Jahre, das zumeist in der Porsche Design / Da Vinci-Zeit (oder noch früher) zu IWC gefunden hatten. Dieser Prozess endete dann Jahre später im Abschalten des deutschen IWC-Forums (nach längerem Siechtum) und zuckt auch heute noch immer mal wieder auf - die Deutungshoheit zum Thema „was geht (=früher), was geht nicht (=heute)“ flackert gerade um die SIHH alljährlich noch hoch.


    Betrachtet man es nüchtern, ist die Ref. 3799 eine sehr große Uhr (46mm Durchmesser, 17,8mm hoch), in einem technisch sehr anspruchsvollen und seltenen Keramik-Gehäuse (Zirkonoxyd) mit Titanboden und -drückern, hat eine klassische IWC-eigene Komplikation (Doppelchronograph) und klassische Fliegereigenschaften (Magnetfeldschutz, Schutz gegen Druckabfall), deren Typographie und Zeigerspiel recht nah am Original der 40er Jahre ist.


    Im Vergleich zur Ref. 3786 ist die Uhr 2mm größer im Durchmesser (was durch das schwarze Gehäuse nicht so ins Gewicht fällt), hat ein Filmlogo auf dem Boden und eingraviert an der Seite (bei den neuen hat man sich die Seitengravur verkniffen) und zwei rote Elemente an den Stoppsekunden (einen Flieger und einen Flugkörper), die diese zwar weniger nüchtern, aber dafür deutlich besser ablesbar machen. Die optischen Unterschiede (Logo und rote Appliken) erkennt am Arm im normalen Alltag niemand – hat man gerade anschaulich bei Herrn Prandelli gesehen, wo selbst die IWC-Facebook-Nasen nicht erkannt haben, welchen Keramik-Doppel der nun trägt.


    Ein Unterschied, der noch mehr ins Gewicht fällt: Die 3799 ist trotz eines Listenpreises von zuletzt 10.300,- Euro (...) aktuell ca. 3000 bis 4000 Euro günstiger als eine 3786, die als ein der wenigen LE von IWC auch heute noch über dem damaligen Neupreis gehandelt wird (zumindest bei den geforderten Preisen). Und wem jetzt beim Lesen die Augen noch nicht zugefallen sind, kann anhand der Fotos prüfen, ob es diesen Aufpreis wert gewesen wäre zwinkern_2.gif












    Bei Lego gehöre ich offenbar zur Generation der fundamentalistischen Old Schooler – bei Uhren bin ich dagegen wohl Kind der Generation „Themenpark“ und für die reine Lehre verloren…


    Gruß,
    Christian

  • Vielen Dank, wie immer ein sehr interessanter Bericht, Christian :gut:


    Die TopGun ist zweifellos eine tolle Uhr. Was mich stört, sind die kitschigen Zeiger. Die müssten m. E. definitiv nicht sein. Ansonsten gibt es da gar nichts zu mekern. Ob vor oder nach der Schorsch Ära: Mann soll tragen was gefällt :kerze:


    Nachfolgend zwei Bilder meiner 3713 aus der Blümlein Zeit ;)



    Uploaded with ImageShack.us



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    Gruss
    John :watoo:

    • Offizieller Beitrag

    john: Ja, die Zeigerappliken sind eine Spielerei - allerdings sind die Stoppsekunden-Zeiger in meinen Augen die einzige Schwäche des 3786, denn dort unterscheiden sich beide nur durch eine quasi unsichtbare "Beule" an der Zeigerspitze.


    Das ist bei den farblich unterschiedlichen Zeigern mit entsprechenden Ringen am Drücker (z.B. DFB, Spitfire) klarer gelöst. Bei der 3799 stoppt erst der Flieger und der Flugkörper geht weiter - also schon eine gewisse Logik (wenn auch nicht ganz Ernst gemeint). Am Arm erkennt man aus Normaldistanz nur ein rotes Dreieck - da ist man durch die ganzen Makrofotos ziemlich verdorben.


    Das ist ungefähr Originalgröße auf dem Monitor und da wird es schon schwer :lupe: :



    Und noch ein paar Bilder am Arm:






    Obwohl die Uhr eigentlich größer (höher) ist als eine Große Flieger, trägt sie sich gefühlt kleiner - schwarz schluckt optisch einiges der doch sehr üppigen Maße :lupe:


    Gruß,
    Christian

  • Eine sehr schöne Vorstellung mit der nötigen Selbstironie um den Spass bei der ganzen Sache nicht zu verlieren ;)
    Auch ich habe von Anfang an die 'Top Gun' Story stark kritisiert was aber keinesfalls die Qualität eines solchen Zeitmessers schmälern soll.
    Der Preisverfall ist bei diesen Uhren aber schon heftig und lohnt auf jeden Fall einen Blick in den Zweitmarkt wenn diese Uhr ins Beuteschema passt.
    Viel Spass mit der Scherbe ;):gut:

  • Kann mich da den Worten meiner Vorposter nur anschliessen... Wie immer sprachlich / inhaltlich super geschrieben... Und JA - die Uhr hat - rein sachlich und nüchtern betrachtet - natürlich etwas... Nur sind für einen - dienstlich zwar "ausgemusterten" - an sonsten aber noch immer sehr aktiven - "Stick & Rudder" Jockey - Dinge (Uhren & anderes Zeuchs) welche eine Nähe zu irgend welchen diesbezüglichen Fliegereiaccessoires künstlich herbeireeden - für mich nicht wirklich anziehend... So gesehen zielt meine Kritik an dieser Uhr nicht gegen die objektiven Eigenschaften - sondern gegen die äussere Aufmachung... Viel Spass für dich mit der Zwirbel...


    Roger

    If everything seems OK - You're just not going fast enough!!! And - Don't drive & fly like hell - unless you want to get there...
    R.I.P. to Stiwi & Volker... Your legacy will not be forgotten - and your spirit will remain with us!!! Patrouille Swiss - FOREVER!!!

  • So eine schöne Story, in der auch ich mich wiederfinde. :gut:
    Und für ein paar Euro mehr hättest das Original und nicht diese Marketing-Hülse bekommen.


    Gottseidank hat noch keiner ein Bild mit der 3786 und dem TG Doppel zusammen reingestellt.
    Da sieht man erst die wahren Werte.


    Die 3786 ist nicht umsonst so preisstabil.


    Gruss


    Karl

    • Offizieller Beitrag

    ...Gottseidank hat noch keiner ein Bild mit der 3786 und dem TG Doppel zusammen reingestellt.Da sieht man erst die wahren Werte....

    ... daran soll es nicht scheitern :G :





    (c) Dick L. (whichwatch) / http://forums.watchnet.com/ind…?t=tree&goto=203489&rid=0


    Was man hier ganz gut erkennen kann: beide Uhren haben auch eine unterschiedliche Gehäuseform, sowohl was die Hörner angeht, aber insbesondere die untere Hälfte der Gehäuseschale. Auch die Bänder unterscheiden sich leicht, durch die doppelte Abnaht löst sich das Leder-Inlay nicht so leicht an der Gehäuseseite.


    Von unten ist der Unterschied klar, wobei dieses TG-Logo kein Aufkleber ist, sondern hinter Glas (das sieht man bei den Bildern oben besser). Die Drückerseite ist nahezu identisch, auf der Rattrapante-Seite hat die TG das Logo. Das ist allerdings im Alltag anders als auf Makro-Bildern eigentlich nicht sichtbar - ebenso wenig wie das Boden-Logo natürlich.


    Bleibt der Vergleich in der Draufsicht: Die 3786 ist nüchterner, klassischer mit den rein weißen Zeigern. Die 3799 lässt sich besser ablesen, da die Stoppsekunden klarer unterschieden werden und die Hilfstotalisatoren einen größeren Durchmesser haben.


    Was man auf diesem Foto ganz gut sehen kann (wieder von Dick), ist ein feiner Streifen auf dem Gehäuse, der vom damals verwendeten Produktionsverfahren kommt (mittig neben dem Drücker):



    Dieses Problem gab es meines Wissens bei den TG-Versionen nicht mehr.


    Im Endeffekt muss man sich dann entscheiden, ob es den Aufpreis wert wäre - preislich stabil sind im Moment beide (wenn man richtig kauft), nur halt auf unterschiedlichem Niveau. Und die Differenz im Kapitalbedarf entspricht z.B. zwei goldenen Taschenuhren, einer perfekten GST Aquatimer 3536 oder einer schönen Yacht Club I und einer gebrauchten Mark XV/XVI oder ... ;)


    Gruß,
    Christian

    • Offizieller Beitrag

    ... heute nochmal die Große Fliegeruhr zum Vergleich hervor geholt - das ist schon erstaunlich, wie wenig reine mm-Angaben aussagen, selbst bei sehr ähnlichen Uhren vom gleichen Hersteller.


    Der TG Doppelchrono ist 46mm x 17,8mm, die 5002 ist 46,2 x 15,8mm - also deutlich flacher bei gleichem Durchmesser. Am Arm sieht das aber ganz anders aus - das schwarze Gehäuse mit dem matten Finish, die mehrstufige Lünette und das deutlich kleinere Zifferblatt lassen den TG Doppelchrono wesentlich kleiner erscheinen.


    Kriegt man leider auf Fotos nicht vernünftig dargestellt, da muss ich mich nochmal an Pärchen-Bildern versuchen - aber einen Eindruck kann man so bekommen:




    Das Gewicht ist übrigens bei beiden fast identisch, ca. 140g (jeweils inkl. Band und Faltschließe).


    Gruß,
    Christian

  • Hallo Christian,


    schön zu lesen, dass es nun doch noch mit dem TG-Doppelchrono geklappt hat.


    Eine klasse Uhr; ich trage sie ja auch regelmässig und teile Deine Schilderung bzgl. des Grössenvergleiches zur BP zu 100%


    Die TG ist eben eine "optische Täuschung" die gefallen muss.



    Diese Uhr wird auch als fester Bestandteil meiner Sammlung bleiben, da bin ich mir ziemlich sicher.


    Gruss Frank