35 Jahre "Jumbo" - ein Vergleich der IWC Ingenieur 1832 und 3227-01

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    Liebe IWC-Freunde,


    der kürzliche Tod Gerald Gentas hat wieder jenes legendäre Quartett aus den 70er Jahren in Erinnerung gerufen, das das - heute so überaus erfolgreiche - Segment der Luxus-Sportuhr erst begründet hat. Jedes dieser Modelle hat eine sehr unterschiedliche Entwicklung genommen. Die AP Royal Oak ist sicherlich der Star unter den vieren, vermutlich die erfolgreichste Stahluhr dieser Preisklasse aller Zeiten und die Uhr, die AP in einer andere Liga, was Stückzahlen und Umsatz angeht, gebracht hat. Das erscheint auch durchaus gerechtfertigt, da die Royal Oak nicht nur der Pionier war, sondern das Designkonzept sicherlich am konsequentesten umgesetzt wurde. Auch die Nautilus hat ihren Weg gemacht, größer und kleiner und später auch mit eigenem Patek-Werk. Die Vacheron 222 kam spät und verschwand früh, ohne dass allzu viele Tränen vergossen wurden.


    Die IWC Ingenieur 1832 hat dagegen eine sehr wechselvolle Historie - war die Baureihe ursprünglich DIE Erfolgsserie von IWC seit Ende der 50er Jahre, scheiterte die 1832 in der Quartz-Krise grandios mit nur weniger als 600 produzierten Exemplaren. Und dennoch wurde sie später so etwas zur DNA der modernen IWC, als Wegbereiter des technischen, sachlichen Designs. Nicht ohne Grund wurde die Jumbo als Vorbild ausgewählt, um Mitte der 00er Jahre einen neuen Versuch in diesem Marktsegment zu starten - und so erblickte 2005 die IWC Ingenieur 3227-01 ein das Licht des Marktes. Um wieder, wie die Vorgängerin, zu scheitern - vermutlich sogar aus ähnlichen Gründen, zu groß, zu massiv, vielleicht zu teuer.




    Trotz ihres ökonomischen Misserfolgs, sind beide Modelle in den Augen vieler Uhrenfreunde Klassiker, denen ein größerer Erfolg vergönnt gewesen wäre - bzw. die ihre echte Wertschätzung erst nach ihrem Produktionsende erfahren. Beide Uhren hatte ich schon mal hier vorgestellt


    Neuzugang II: IWC Ingenieur 3227-01


    Was soll man viele Worte machen...


    aber im Zuge meiner jährlichen Schließfach-Inventur hatte ich mal beide gleichzeitig zur Hand - eine gute Gelegenheit für einen kleinen Vergleich.



    Werke:
    Die 1832 war so etwas wie der Schlusspunkt der "alten" IWC - in der Uhr schlägt mit dem Kaliber 8541 ES die letzte und beste Ausbaustufe des Ur-Automatik-Werks 85x aus den 50er Jahren. Charakteristisch ist der Pellaton-Aufzug, Breguet-Spirale und mit 19.800 A/Hz ein Slow-Beater. Sekundenstopp gab es schon, das Datum wird halbschnell geschaltet. Das Werk war im Vergleich zum von JLC hergestellten 2121 der Konkurrenz robuster, was sich auch in den Maßen niederschlug - 28mm im Durchmesser und 5,8mm in der Höhe. Eine Ultra Slim konnte (und wollte) die Jumbo also nicht sein. Die Gangreserve war ca. 40 Stunden und das Uhrwerk hatte ein vernickeltes Finish, ähnlich wie es heute wieder bei IWC üblich ist. Mit dieser letzten Evolution endete für fast zwei Jahrzehnte der Bau eigener Automatik-Werke bei IWC.


    Und so war es eigentlich nur folgerichtig, dass der "Nachfolger" des Kaliber 8541, das Kaliber 8000, gleichzeitig in einer Neuauflage der Ingenieur vorgestellt wurde. Auch hier findet sich wieder der traditionelle Pellaton-Aufzug, ansonsten ist das Werk in alle Richtungen gewachsen: 7,2mm hoch, 30,4mm Durchmesser, nun mit einer Gangreserve von ca. 44 Stunden und der heute üblichen Frequenz von 4 Hz - und als Besonderheit ein Schockabsorbersystem an der Automatik-Baugruppe, das das Werk "unzerstörbar" machen sollte. Leider litt gerade dieser Bereich zu Beginn durch eine falsche Dimensionierung an Kinderkrankheiten, die zu losgebrochenen Rotoren führte. Ein ziemlicher Rückschlag für Werk und Uhr - allerdings bei Neueinführungen alles andere als selten. Seit 2006 sind diese Probleme behoben und die ersten Jahrgänge wurden lange kulant umgerüstet. Dennoch sind die heutigen Versionen 80110 und 80111 tendenziell eher unterschätzt. Selbst IWC ist in der Vermarktung sehr schüchtern geworden - was angesichts der Qualitäten des Werkes nicht nachvollziehbar ist.


    Gehäuse:
    Der Gehäusebau ist seit jeher eine Stärke der IWC, was sich an beiden Uhren ablesen lässt. Beide haben den traditionellen Magnetfeldschutz bis 80.000 A/m durch einen Weicheisenkäfig und beide sind bis 120m wasserdicht. Die 1832 ist den Maßen nach etwas kleiner, 40x38mm in der Fläche und ca. 12,5mm in der Höhe. Die 3227-01 ist etwas massiger, 42,5mm im Durchmesser und ca. 14mm in der Höhe. Beide haben ein dreiteiliges Gehäuse mit verschraubten Böden.


    Das Design hat manche Gemeinsamkeiten: Das integrierte Band und die Bohrungen auf der Lünette. Diese ist bei der 1832 noch verschraubt, daher die in der Regel unsymmetrisch angeordneten Bohrungen - bei der 3227 ist dagegen alles hübsch aufgeräumt, die Lünette wird hier durch einen Bajonettverschluss fixiert.




    Die Formensprache der Uhren ist aber deutlich unterschiedlich: Die 1832 ist eher rundlich, wenig scharfe Kanten. Nur das Gehäuse schließt am Band unvermittelt gerade ab. Die 3227-01 ist dagegen deutlich kantiger, zum Teil angliert und poliert. Die Lünette der 3227-01 hat auch noch eine Zwischenstufe, bevor sie auf das Gehäuse trifft. Die Hörner sind weiter heraus gezogen und abgeschrägt - so erhält das Band mehr Spiel und kann das Handgelenk besser umschließen. Man sollte sich hier auch nicht von den Maßen täuschen lassen - am Arm trägt sich die 1832 mindestens so groß, ein ähnliches Phänomen wie bei der Royal Oak (die offiziell einen Durchmesser von nur 39mm) hat.

    • Offizieller Beitrag

    Bänder:
    Das geschmiedete Band der 1832 ist sicherlich eine der robustesten Konstruktionen der Uhrengeschichte - auch nach Jahrzehnten erlebt man hier noch keinen Stretch. Die Bandglieder sind verschraubt und die Schließe sehr ähnlich zu den klassischen Rolex-Schließen aufgebaut: Sicherheitsbügel, Feinverstellung per Federsteg und eine einfache Blech-Faltschließe dazwischen. Bei der 3227 wurde das GST-Patent zur Bandanpassung übernommen, allerdings sind die Bandglieder deutlich länger (hier gibt es zwei Größen zur Feinverstellung). Die Schließe ist verdeckt mit einem einfachen Sicherheitstaster an der Seite.









    Tragekomfort:
    Am Arm tragen sich beide durchaus unterschiedlich - die 3227 ist schwerer und baut höher auf, hat aber als Gegengewicht auch das massivere Band. Trotz des größeren Durchmessers hat sie eine etwas bessere Passform, da die schrägen Hörner dem Band mehr Spiel geben, es also gerader nach unten weggehen kann. Die 1832 ist deutlich flacher und insbesondere das Zifferblatt wirkt kleiner. Wer an der Uhr Interesse hat, sollte sie unbedingt Probe tragen - ähnlich wie bei der Royal Oak braucht man einen gewissen Handgelenkumfang, damit es vernünftig sitzt, da das Band sehr schräg weggeht und einen relativ großen Radius hat.








    Preislich liegt man heute bei der 1832 je nach Zustand zwischen 7.500,- und bis über 10.000,- Euro, eine 3227-01 lässt sich heute für etwa 3.200,- bis 3.900,- Euro erwerben. Wobei natürlich besonders bei der 1832 die üblichen und viel diskutierten Besonderheiten von Vintage-Uhren zu beachten sind.


    Fazit: Eine Ingenieur gehört in jeden ordentlichen Uhrenhaushalt - und wenn die Ehefrau gnädig ist, sogar zwei ;)


    Gruß,
    Christian

  • ein toller Bericht mit hervorragenden Bildern! danke dafuer!


    eine Frage: was heisst, dass das Datum der 1832 "halbschnell" schaltet?


    ein Kommentar: ich habe in mehreren Fachartikeln zur Vorstellung der 3227 (die ich uebrigens auch stolz mein Eigen nenne), dass die Lunette nicht aufgepresst, sondern durch eine Art Bayonetteverschluss angebracht wird.

  • Danke Christian - ich hatte den Gedanken an eine 3227 langsam endlich los gebracht... und jetzt kommst Du... :motz:


    In jedem Falle: endlich mal wieder ein richtig schöner und fundierter Bericht, der zwichen dan üblichen und vernachlässigbaren Jubelthreads positiv hervorsticht!

  • Ganz toller informativer Bericht, der Lust auf diese Uhren macht. Vielen Dank! Während ich die 3227 schon mal häufiger in der Hand hatte, ist die ältere Schwester erst jetzt auf dem Radarschirm aufgetaucht. Auch ein schöner Tribut an Genta - klasse.


    Gruß
    Andreas

  • Wie immer wenn Christian seine Uhren vorstellt komme ich ins Grübeln. Die vorletzte IWC-Generation - Ingenieur wie AT - gefällt mir auf den fünften Blick viel besser als auf den ersten. So habe ich ein wenig gegoogelt und ein ebenfalls sehr schönes Review auf Watchprosite gefunden: http://home.watchprosite.com/show-nblog.post/ti-475986/. Ich hoffe ich darf das hier einstellen ;)


    Die Preise auf Chrono24 sind leider ziemlich hoch, aber vielleicht wird's ja irgendwann mal was...


    Gruss

  • Kompliment Christian. Klasse Vergleich zwischen alt und neu. Da wird mir wieder klar, warum ich so an den alten hänge.


    Während das Original schon lange bei mir weilt (siehe auch das Avatar) und ich die Geschichte dazu ja schon geschrieben habe, konnte ich mich zum Nachfolger immer noch nicht durchringen. Oft kam was interessanteres daher, so erst vor einigen Wochen, andererseits schwanke ich immer noch (das geht mir aber bei IWC oft so, dass ich Jahre brauche, mich mit Modellen anzufreunden). Im Vergleich dazu was es mittlerweile in dieser Ingenieur-Linie für Unsäglichkeiten gibt ist die 3227 durchaus interessant.



    Die Preise auf Chrono24 sind leider ziemlich hoch, aber vielleicht wird's ja irgendwann mal was...


    Die Titan-Version ist etwas preiswerter.


    Gruss


    Karl

    • Offizieller Beitrag

    ... und noch ein Nachklapp:


    Zifferblätter:
    Hier gab es jeweils mehrere Varianten, glatt schwarz und Schachbrett schwarz/silber bei der 1832 - bei der 3227 sind nur unterschiedliche Farben verwendet worden. Klassisch ist sie schwarz und verfügt über ein wunderschön dreidimensionales und tief strukturiertes Blatt, mit den markant scharfkantigen, aufgesetzten Indices, die ebenso wie die Zeiger mit SL ausgefüllt sind. Durch das doppelt entspiegelte Glas ergeben sich hier wunderbare Effekte - eines meiner absoluten Favoriten. Die applizierten Zahlen bei der 6 und 12 zitieren übrigens ein altes Blatt aus der Ingenieur 666-Serie. Auch das Waffelblatt der 1832 bietet eine schöne Struktur, die Indices und das Zeigerspiel sind jedoch viel zurückhaltender und runder gestaltet - übrigens sehr ähnliche Proportionen wie bei der Royal Oak. Das Logo ist noch appliziert, darunter die Fadenschrift. Die Datumsscheibe ist bei der 1832 weiß auf schwarz, bei der 3227 dagegen schwarze Zahlen auf weißem Grund - geht beides.






    ein toller Bericht mit hervorragenden Bildern! danke dafuer!eine Frage: was heisst, dass das Datum der 1832 "halbschnell" schaltet?ein Kommentar: ich habe in mehreren Fachartikeln zur Vorstellung der 3227 (die ich uebrigens auch stolz mein Eigen nenne), dass die Lunette nicht aufgepresst, sondern durch eine Art Bayonetteverschluss angebracht wird.


    ... stimmt, da hab ich mich vertan - habe es oben geändert auf Bajonettverschluss, wie es auch bei Moeb berichtet wird. Ich hatte noch die 4515 meiner Frau vor Augen, wo mir die durch ihre schonende Nutzung ermattete Lünette beim Putzen mehrfach entgegenkam...


    Führt aber zum gleichen Ergebnis, nämlich den symmetrisch ausgerichteten Bohrungen. Dies lässt sich übrigens auch bei der 1832 erreichen, wenn man das Gewinde des Glasreifs geeignet kürzt, so dass eine Bohrung auf der 12 oder der 6 landet. Ist aber nicht so einfach - und man hat da nicht zu viele Versuche... aber wenn man sich hier manche Bilder anguckt, dann kennt der ein oder andere alte Haudegen jemanden mit Auge und ruhiger Hand, gell ;)


    Mit "halbschnell" meine ich das bekannte vor-und-zurück Kurbeln über 24 Uhr - also die Uhr bis ca. 1 Uhr vorstellen, so dass sie schaltet, und danach wieder zurück bis ca. 22.30 Uhr, dann rastet das Datumsrad wieder ein. Keine Schnellschaltung über eine 1. Kronenposition im klassischen Sinne, aber dramatisch schneller, als wenn man mit dem Stundenzeiger 24 Stunden durchkurbeln müsste.


    Heiko: Sehr schöne Bilder vom Schachbrettmuster :gut: - ich muss tatsächlich mal beizeiten etwas aufrüsten und mich endlich mit Makro-Linsen, Filtern etc. auseinander setzen - war ich bis jetzt immer zu faul für... ;)


    Gruß,
    Christian